Yoga nach Krishnamacharya, Folge 5: In Streckhaltungen erfährt die Wirbelsäule eine bewusste Aufrichtung. Die vielfältigen Benefits, die dadurch entstehen, erläutert Stephanie Schönberger in dieser Folge der Workshop-Reihe – und zeigt dir eine sorgfältig aufgebaute Sequenz dazu.
Vor Jahren, in einem der ersten Yogakurse, an denen ich teilnahm, war „Aufrichtung“ das große Thema der Stunden. Gemeint war in erster Linie die Aufrichtung, also Streckung, der Wirbelsäule. Eine Teilnehmerin des Kurses, eine über 80 Jahre alte Yogalehrerin, sagte dazu aber: „Aufrichtung hat auch mit aufrichtig sein zu tun.“ Das Sanskritwort für „aufrichtig sein“ bzw. „die Wahrheit sagen“, lautet satya. In Patanjalis Yoga-Sutra ist dies als Teil des achtgliedrigen Pfades der zweite Yama. Yama bedeutet Disziplin. Leider bekommen beim Wort „Disziplin“ viele Menschen erst mal Aversionen, dabei ist damit ein absolut und unbedingt (also diszipliniertes) wohlwollendes Verhalten gegenüber unserer Mitwelt und letztlich auch gegenüber uns selbst gemeint – was in der Theorie oft einfacher klingt, als es in der Praxis gelebt wird oder gelebt werden kann. Denn wie oft flüchten wir uns in kleine Notlügen, machen uns etwas vor oder verbiegen uns, weil wir die Wahrheit ignorieren, Angst vor ihr haben oder ihre Konsequenzen fürchten? Und wie aufrichtig gehen wir im Leben und beim Üben mit unserem Körper um, überschreiten Grenzen, überhören Signale, zwängen uns körperlich, mental, geistig, beruflich in Haltungen und Positionen, die uns eigentlich gar nicht (mehr) entsprechen? „Wer stets ehrlich in seinen Äußerungen ist, wird auch die richtigen Entscheidungen für sein eigenes Handeln finden“, erklärt R. Sriram in seiner Interpretation das Yoga-Sutra II.36, in dem es um besagte Wahrhaftigkeit, also Satya, geht.
An dieses Sutra und jenen Satz, den diese Lehrerin uns damals mit auf den Weg gegeben hat, denke ich oft im Alltag, aber auch wenn ich in Asanas gehe, besonders in diejenigen, welche in der Tradition Sri Krishnamacharyas als Streckhaltungen kategorisiert werden. Dazu zählen alle Haltungen, in denen die Wirbelsäule eine bewusste Begradigung erfährt. Und so, wie es im Leben manchmal schwierig erscheinen kann, aufrichtig zu sein, ist es auch mit der körperlichen Aufrichtung: Auf den ersten Blick wirkt das aufrechte Stehen oder Sitzen noch ganz einfach. Aber wenn wir versuchen, über einen längeren Zeitraum in einer gestreckten Position Haltung zu bewahren, zum Beispiel in der Meditation, dann […]