Die Auseinandersetzung mit der Frage: „Wer bin ich?“ spielt in der Yogaphilosphie eine wichtige Rolle. Ich selbst finde es immer wieder sehr berührend und sehr spannend. Neben yogischen Meistern haben sich weltweit immer wieder viele Menschen damit auseinandergesetzt. Eine zufriedenstellende Antwort darauf gibt es nicht. Aber viele Aspekte unseres Seins können wir dadurch berühren. Alles, was es dazu braucht, sind ein Kilo Mut und ein Zentner Geduld.
Dietrich Bonhoeffer: „Wer bin ich?“
Dietrich Bonhoeffer war ein lutherischer Theologe, der am deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt war. Kurz vor Kriegsende wurde er auf ausdrücklichen Befehl von Adolf Hitler als einer der letzten NS-Gegner hingerichtet. Auch wenn sein Körper schon lange nicht mehr präsent ist, so sind Schriften von ihm unvergessen. Mich persönlich hat sein Gedicht „Wer bin ich?“ besonders berührt:
Dietrich Boenhoeffer: Wer bin ich?Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. |
Die Umstände, unter denen diese Zeilen geschrieben wurden, waren düster und dunkel. Manchmal treibt eine solche Frage – in Bonhoeffers Worten ausgedrückt „Spott“ mit einem Menschen. Ein anderes Mal kann uns ein so widriger Umstand mit etwas in Kontakt bringen, dass viele größer, tiefer und weiter ist als all die Rollen, mit denen wir uns jahrelang identifiziert haben. Dies zeigte mir die folgende Geschichte:
Unschuldig in der Todeszelle
Sonja Jacobs wurde zum Tode verurteilt, weil sie im hinteren Teil eines Autos schlief, während die Fahrer, darunter ihr Partner in eine Polizeikontrolle kamen. Das Ende dieser Begegnung: Zwei Polizisten erschossen und die vermutlichen Mörder schoben die Schuld auf Sonja. Sie wurde zu Unrecht zu Tode verurteilt und erduldete im Todestrakt während ihrer Einzelhaft viel Traumatisierendes. Über diese Zeit schreibt sie: „Ich brauchte meine Situation nicht mit den Augen der anderen zu sehen. Ja, ich sitze hinter Gittern, ich darf mich nicht frei bewegen und warte darauf, dass sie mir mein Leben nehmen. Aber so lange ich atme, gehört mein Leben immer noch mir und ich kann wählen, wie ich es unter den gegebenen Umständen verbringen will. Es gibt eine Freiheit, die du nur dir selbst geben kannst. Das ist die wichtigste Freiheit von allen. Ich entschied mich dafür, mich nicht länger als Opfer und Gefangene zu betrachten, sondern als einen Menschen, dem die Gelegenheit gegeben wurde, seine spirituelle Arbeit zu tun. Und so habe ich meine Zelle in ein Sanktuarium verwandelt. Ich praktizierte Yoga, meditierte und betete. Ich wählte die Hoffnung, anstatt die Hoffnungslosigkeit. Während ich mich Schritt für Schritt aus meiner Vergangenheit befreite, erlebte ich eine Freiheit, wie ich sie nie zuvor erlebt habe.“ Das Leben geht oft eigene Wege und so geschah es, dass ihr Fall wieder aufgerollt wurde. Sie wurde freigesprochen und schrieb ein Buch über ihr Schicksal. Heute hilft sie Menschen in ähnlichen Situationen und wurde zur Botschafterin für Amnesty International.
Quelle: Nach der Todeszelle: Von der Hölle in den 7. Himmel (tagesspiegel.de)
Bahnbrechende Antworten in schwierigen Zeiten?
Eine unglaublich berührende Geschichte. Über solche Schicksale haben wir hier bei YOGA AKTUELL schon häufiger berichtet. Schicksale von Menschen, die tiefe innere Freiheit in Situationen gefunden haben, die ausweglos erschienen.
Auch in der heutigen Zeit überfällt Menschen das Gefühl, keine adäquate Antwort mehr auf diese Frage zu finden. Umso mehr bietet sich die jetzige Zeit an, immer wieder einzutauchen in die Frage. Dabei möchten wir dich unterstützen.
Yogaphilosophie für Mutige: Wie lauten deine Antworten?
Haben wir Antworten auf diese Frage gefunden, können wir uns sowohl auf der „weltlichen“ Ebene besser abgrenzen, unsere Bedürfnisse erkennen und leben sowie Grenzen setzen oder erweitern – je nachdem, was gerade ansteht. Auf der spirituellen Ebene können uns die Antworten auf einer tieferen Ebene mit der eigenen Quelle und mit dem Göttlichen verbinden. Was für ein Geschenk. Was für eine Freude. Was für eine Erfüllung der Frage „Wer bin ich“ nachzugehen.
Finde deine Antworten:Wer bin ich?Kontempliere in den nächsten Wochen immer wieder über die einzelnen Aspekte. Schreibe auf, was dir spontan dazu einfällt und dann kontempliere immer wieder über die einzelnen Aspekte. Wer bin ich in Bezug auf meine…
Trauma:Wie bewusst ist mir mein Trauma (wenn eins vorhanden ist) und wie sehr beeinflusst es mein Leben? Charakter:Was zeichnet meinen Charakter aus und wie sehr lebe ich ihn aus? Eltern / Ahnen:Welche Rolle spielt meine Familie und wie sehr bestimmen sie mein Leben? Geschlecht:Wie sehr bin ich mit meinem Geschlecht identifiziert und wie sehr beeinflusst es meine Entscheidungen und mein Rollenverhalten? Sinnesorgane:Wie wichtig sind mir meine Sinne und wie lebe ich sie aus? Beziehungen:Welche Rolle spiele ich in meinen Beziehungen? Passe ich mich an? Bin ich frei? Kommen die anderen immer zuerst? Geht es mir nur um mich? Atem:Wie vertraut ist mir mein Atem? Karma / Dharma:Welchen Bezug habe ich zum Karma? Wie bewusst ist mir mein Dharma (meine Lebensaufgabe)? Schwächen:Wie sehr stehe ich zu meinen Schwächen? Über welche blinden Flecke stolpere ich immer wieder? Körper:Wie sehr bin ich in meinem Körper? Wie sehr stehe ich zu meinem Körper? Wie sehr kümmere ich mich um meinen Körper? Reines Gewahrsein:Wie vertraut ist dir der weite Raum des reinen Gewahrseins? Persönlichkeit:Was macht dich einzigartig? Herz:Welche Beziehung hast du zu deinem Herzen? Wem begegnest du mit offenem Herzen? Wer hat es verletzt? Geist / Ich:Wie stark dominieren dein Geist / Verstand / Ich dein Sein? Gene:Welche Gene wirken durch dich durch? Wie geht es dir damit? Genießt du es? Lehnst du sie ab? Werte:Welche Werte spielen eine Rolle für dich? Zähle sie auf. Welche davon lebst du? Welche nicht. Warum nicht? Stärken:Was sind deine 10 größten Stärken? Schwächen:Welches sind deine 3 größten Schwächen? Intuition & Wünsche:Nenne deine 10 größten Wünsche. Was hindert dich daran, sie dir zu erfüllen? Materie:Wie wichtig ist dir Materie? Warum ja? Warum nein? Welches Loch füllt sie? Beziehungen:Welche Beziehungen lebst du aus vollem Herzen? Welche Beziehungen rauben dir Kraft? Welche nähren dich? Welche Beziehungen pflegst du nur, um nicht alleine zu sein? Wenn du dich mit der Frage auseinandersetzt, mache dir bewusst, dass es nicht DIE Antwort gibt. Es gibt eigentlich auch keine Antwort, die für immer gültig ist. Vielleicht ist es dir möglich, dem Thema offen und absichtslos zu begegnen. Dann wirst du auf einer tiefen Ebene deines Seins Antworten finden. |