Als ich nachts nicht mehr durchschlafen konnte, dachte ich erst, es läge an meinem stressigen Job. Ich war Ende vierzig, hatte vom jahrelangen Filmeschneiden ein dickes Überbein am Handgelenk, hatte Abgabetermine im Nacken und fühlte mich schrecklich.
Auf die Idee, dass ich in der Perimenopause sein könnte, bin ich gar nicht gekommen – zumal ich dachte, dass die Wechseljahre mit dem Ausbleiben der Periode beginnen. Das Gegenteil ist der Fall! Wenn die Periode aufhört, ist das die Konsequenz der Hormonumstellung, und alles, was davor passiert, gehört zu den Wechseljahren dazu.
Anzuerkennen, dass auch ich jetzt in die Wechseljahre komme, war ein interessanter Prozess, weil ich mich selbst bisher nicht als ältere oder sogar reife Frau definiert hatte, und ich musste mich – wie Millionen andere Frauen – auf den Weg machen, mich selbst neu zu entdecken und diese Zeit des Übergangs zu gestalten.
Denn die Wechseljahre bedeuten zwar einerseits das Ende der fruchtbaren Jahre, andererseits sind sie auch der Anfang einer Lebensphase, in der Frauen eine ganz neue Identität entwickeln und zu neuen Ufern aufbrechen.
Das Thema ist deswegen komplex, weil wir in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft leben, in der der Wert von Frauen auf ihre Fruchtbarkeit, und damit auf ihre Jugend, reduziert wird. Und leider haben wir Frauen diese Sichtweise selbst übernommen und fühlen uns „unsichtbar“, wenn wir sichtbar älter werden.
Um zu verstehen, welche tiefgreifende Veränderung die Wechseljahre bedeuten, müssen wir uns erst einmal der Aufgabe zuwenden, die die weiblichen Hormone im Laufe eines Zyklus haben, und verstehen, was die körperlichen und mentalen Konsequenzen sind, wenn diese Hormone allmählich immer weniger werden.
Begleiterscheinungen des veränderten Hormonhaushalts
Ich behaupte, dass viele Probleme, die wir mit dem Älterwerden haben, auch damit zu tun haben, dass unsere sexuelle Attraktivität nachlässt. Dabei hat die Natur das ganz weise eingerichtet: Während eines bestimmten Teils unseres Lebens verwenden wir viel Energie darauf, uns zu paaren, für Nachwuchs zu sorgen, diesen großzuziehen usw. Und dann? Wir Frauen brauchen unsere Sexyness spätestens ab den Wechseljahren biologisch gesehen nicht mehr. Der Versuch, darüber hinaus sexy und verführerisch zu sein, kann sehr viel Aufwand und Kraft kosten. Unser Hormonhaushalt ändert sich, unser Stoffwechsel auch. Wir spüren die Konsequenzen, und man kann sie sehen.
Wir legen vielleicht um die Körpermitte zu, bei Männern geht der Haaransatz zurück, oder mitten auf dem Kopf vergrößert sich die kahle Stelle. Die Schwerkraft fordert ihren Tribut. Brüste sinken nach unten, Falten vertiefen sich. Die Wechseljahre der Frau sind ein langsamer Prozess hin zu einer Lebensphase, in der ihre Fruchtbarkeit schließlich gar keine Rolle mehr spielt. Trotzdem versuchen die meisten Frauen, so zu wirken, dass man ihnen dies nicht ansieht. Die Wechseljahre bedeuten, dass sich Frauen über einen langen Zeitraum von ihrer fruchtbaren Phase verabschieden, und dieser Abschied kann einige Probleme mit sich bringen.
Der Hormonspiegel verändert sich, es kommt nicht mehr zum Eisprung, und damit bleibt dann auch die Regelblutung aus. Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Gewichtszunahme – das alles sind mögliche Begleiterscheinungen, mit denen hier im Westen viele Frauen zu tun haben. In einer interkulturellen Studie der Charité wurde zum Beispiel herausgefunden, dass die asiatischen Teilnehmerinnen im Vergleich zu den Europäerinnen weniger über Wechseljahrsbeschwerden klagten. Es scheint also kulturelle Unterschiede zu geben – ob im Umgang mit dem Thema oder tatsächlich, ist vermutlich schwer herauszufinden.
Die weisen Frauen, die wir werden, sind ein wichtiges Bindeglied der Gesellschaft, und auch wenn wir nicht in einer Kultur leben, in der Reife und Weisheit bei Frauen im Mittelpunkt stehen, ist es an uns, genau das zu leben.
Beginn einer neuen Lebensphase
Die Wechseljahre werden bei uns im Allgemeinen mit einer Zeit des Verlusts gleichgesetzt. Wir schauen auf das, was wir verlieren, was nicht mehr ist. Ganz nach unserer gesellschaftlichen Gewohnheit, Defizite zu identifizieren und in den Fokus zu rücken, wird das Thema Wechseljahre immer noch als Problem und Tabu behandelt und eher hinter vorgehaltener Hand besprochen.
Wir können uns Hormone verschreiben lassen, die aber in ihren Nebenwirkungen und Konsequenzen wahrscheinlich nicht besser sind als die Phänomene, die durch die Wechseljahre selbst entstehen. Es gibt keine Rituale in unserer Gesellschaft, durch die junge Frauen, die zu menstruieren beginnen, oder Frauen, die in die Wechseljahre kommen, gefeiert oder zumindest gewürdigt werden.
Wechseljahre sind aber nicht nur das Ende einer Lebensphase, sondern genauso auch der Anfang einer neuen, und es liegt an uns, wie wir diese Entwicklung betrachten wollen.
In der reproduktiven Phase unseres Lebens sind wir Frauen hormonell so eingestellt, dass wir bereit sind, unsere eigenen Bedürfnisse hinter denen unserer Kinder und der weiteren Familie zurückzustellen. Wenn diese Zeit dem Ende zugeht, verändert sich unser Hormonhaushalt dahingehend, dass wir uns wieder mehr uns selbst zuwenden und mehr Kraft und Kreativität in unser eigenes Leben stecken wollen. Viele Frauen vollziehen in den Wechseljahren auch tiefgreifende Wechsel in ihrer Biografie: Sie beginnen vielleicht eine neue Ausbildung, trennen sich womöglich von ihrem Partner, starten ein eigenes Business und nutzen ihre Energie und Kraft zunehmend für sich selbst. Gender-Themen und die damit einhergehende Ungerechtigkeit in der Gesellschaft rücken dadurch in den Fokus, und die Bereitschaft, sich für andere zu opfern, nimmt ab.
Viele meiner aktuellen Themen hängen mit meinem eigenen Hormonwechsel zusammen: Meine Wut auf Gender-Ungerechtigkeit, meine Ungeduld, mein Wunsch nach mehr Ruhe und Rückzug, meine Suche nach meiner wahren Aufgabe im Leben – all das sind Begleiterscheinungen meines Aufbruchs in eine neue Lebensphase, die ich sehr bewusst und neugierig erlebe.
Bei Männern nennt man diese innere Unruhe gerne ganz einfach „Midlife-Crisis“. Aber auch sie durchlaufen Wechseljahre, die Andropause genannt werden. Der Prozess ist etwas subtiler als bei Frauen: Auch bei Männern sinkt der Testosteronspiegel, und damit schwindet die Muskelmasse, die Erektion kann schwieriger werden usw. Dennoch produzieren Männer weiterhin Spermien, deren Anzahl und Qualität mit zunehmendem Alter allerdings abnehmen. Die Gefahr steigt also, dass Kinder von älteren Männern mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen geboren werden können. Trotzdem hilft diese „ungerechte“ Verteilung in Bezug auf Wechseljahrsymptome Männern, beim Thema Älterwerden gelassener zu bleiben. Sie haben weniger das Gefühl, der Zug könnte für sie irgendwann abgefahren sein. Wenn nötig, können sie auch mit siebzig noch Kinder zeugen. Um sie großzuziehen, stehen sie dann aber meist nicht mehr wirklich zur Verfügung.
Sinnlichkeit und Akzeptanz statt Verjüngungsversuche
Wenn wir aufhören, zu viel Aufwand zu betreiben, um weiterhin auf dem Sexyness-Markt unseren Platz zu behaupten, können wir eine Menge Energie sparen. Es geht darum, mit einem überschaubaren Aufwand in unseren Körper zu investieren, ohne uns dabei zu Sklavinnen eines (jugendlichen) Selbstbildes zu machen. Auf unseren Körper zu achten und ihn zu pflegen sollte im Alter selbstverständlich sein. Die Mittel, die uns ganz unkompliziert zur Verfügung stehen, sind eine gute Frisur – ob gefärbt oder nicht, ist egal –, gepflegte Zähne, Hände und Füße. Leider wird die Kosmetik, die uns beim Älterwerden unterstützen soll, „Anti-Aging-Kosmetik“ genannt. Auch hier wird wieder das „Problem“ in den Fokus gestellt, als gelte es das Alter zu bekämpfen. Pro-Age bedeutet hingegen, dass wir uns Pflege gönnen sollten, die uns ein gutes Gefühl gibt, unsere Haut ausreichend nährt und unsere Finanzen nicht überstrapaziert. Denn das Altern aufhalten zu wollen ist auf dieser Ebene auch nicht wirklich erfolgreich. Natürlich stehen uns da heute die kosmetische Chirurgie und die Dermatologie als Verjüngungshilfen zur Verfügung, genauso wie Hormontherapien. Aber auch hier sollten wir uns fragen, ob die Risiken den Aufwand rechtfertigen, und für wen wir zu diesen Mitteln greifen. Oft sind es unbewusste Ängste, die uns dazu treiben, unser Äußeres optimieren zu wollen. Nicht mehr sexy sein zu müssen, bedeutet nicht, nicht mehr schön sein zu wollen. Und Schönheit ist sexy – aber Sexyness um jeden Preis ist nicht schön.
Wir könnten Sexyness durch Sinnlichkeit ersetzen, die in jeder Lebensphase schön ist, unabhängig von straffer Haut, Sixpack und Faltenfreiheit. Sinnliche Erlebnisse beziehen alle unsere Sinne mit ein und lassen dadurch die optischen Reize in den Hintergrund treten. Nicht das, was makellos aussieht, sondern das, was sich gut anfühlt, ist schön. Das Zauberwort heißt Akzeptanz. Wenn wir gelassener werden und gnädiger mit uns selbst, dann lässt der Druck nach, und wir können sehr viel Energie in andere Themen stecken.
Wer bis vierzig keinen Sport (oder keinen Yoga) gemacht hat, sollte damit anfangen, um den Status quo zu halten und fit zu bleiben. Dabei geht es nicht darum, wie zwanzig aussehen zu wollen, sondern einfach nur darum, dem Alterungsprozess entsprechend Bewegung, Muskelaufbau und Dehnung zu einem guten Trainingspaket zu schnüren, um sich zumindest jünger zu fühlen. Denn mal Hand aufs Herz: Möchten wir uns nicht alle jünger fühlen, als wir sind?
AUFGABEN VON ÖSTROGEN (1. ZYKLUSHÄLFTE): Östrogen wird hauptsächlich in den Eierstöcken produziert.
AUFGABEN VON PROGESTERON (2. ZYKLUSHÄLFTE): Progesteron wird vom so genannten Gelbkörper nach dem Eisprung Produziert. Wenn kein Eisprung mehr stattfindet, steht auch fast kein Progesteron mehr zu Verfügung.
AUFGABEN VON TESTOSTERON Testesteron wird mit Östrogen zusammen produziert. Ja, auch Frauen haben Testosteron!
|
Neue Klarheit – Reife und Weisheit
Die Wechseljahre machen uns unmissverständlich darauf aufmerksam, dass wir auf unser Ende zugehen und dass wir uns mit den Veränderungen abfinden müssen. Sie nehmen quasi unser Ende vorweg, zeigen uns, dass wir keine Zeit zu verlieren haben, und erhöhen die Dringlichkeit, Dinge nicht auf die lange Bank zu schieben. Sie bringen uns dazu, Prioritäten zu setzen, loszulegen, dranzubleiben. Dagegen anzukämpfen kann sehr erschöpfend sein; die Veränderungen zu ignorieren, ebenfalls. Das Geheimnis ist, etwas daraus zu machen!
Das tief in uns verankerte Wissen darüber, dass alles seine Zeit hat, dass alles entsteht, da ist, wieder vergeht, und dann erneut entsteht, ist eine tröstliche Perspektive. Auch wir sind ein Teil davon, auch wenn wir unseren Menstruationszyklus hinter uns lassen. Die Zeit der Wechseljahre ist also unsere Chance, unser eigenes Narrativ zu ändern, unseren Wert selbst neu zu definieren, dafür zu sorgen, dass wir sichtbar bleiben – und zwar nicht durch Sexyness, sondern durch den wertvollen Beitrag, den wir zur Gestaltung der Gesellschaft leisten.
Unsere Aufgabe ist es, unsere neuen Kräfte zu bündeln, unsere neue Klarheit zu nutzen, um uns selbst und vor allem anderen Frauen zu helfen. Die weisen Frauen, die wir werden, sind ein wichtiges Bindeglied der Gesellschaft, und auch wenn wir nicht in einer Kultur leben, in der Reife und Weisheit bei Frauen im Mittelpunkt stehen, ist es an uns, genau das zu leben. Indem wir sichtbar, hörbar und spürbar werden. Indem wir miteinander und füreinander da sind, und so auch die höchste Lehre des Yoga praktizieren: Verbindung! •Die weisen Frauen, die wir werden, sind ein wichtiges Bindeglied der Gesellschaft, und auch wenn wir nicht in einer Kultur leben, in der Reife und Weisheit bei Frauen im Mittelpunkt stehen, ist es an uns, genau das zu leben.
Ab der kommenden Ausgabe zeigt dir Elena Lustig in dieser Reihe Asana-Sequenzen, die auf verschiedene Thematiken der Wechseljahre abgestimmt sind. |
Im Live-Programm von Elena Lustig und YogaMeHome erfährst du, wie du gesund, entspannt und kraftvoll durch deine Wechseljahre gehst. Mehr Infos und Anmeldung: www.yogamehome.org/wechseljahre
Zum Weiterlesen:
Bücher von Elena Lustig, erschienen im Theseus Verlag:
ProAgeYoga. Selbstbewusst älter werden
ProAgeLife. Das Yoga-Praxisbuch für gesundes Älterwerden
Fotos: www.mariaschiffer.com