Iris Disse begleitete ihre Mutter beim Übergang in den Tod – in einer Zeit, in der Sterbenden oft Isolation droht.
Alles fing damit an, dass meine Mutter im August nachts meinem Vater, der sie ins Bad begleitete, entglitt und stürzte. Man brachte sie ins Krankenhaus. Sie war achtundachtzig Jahre alt und zu diesem Zeitpunkt mal mehr, mal weniger dement. Mein Vater, zweiundneunzig Jahre alt und gesund, lebte mit ihr und einer polnischen Pflegekraft zu Hause. Mit der Krankheit meiner Mutter kam in Gesprächen der Begriff der Würde auf. Vater sagte Mutter nie: „Du bist krank, ich habe dir jetzt schon was weiß ich wie oft geantwortet“, wenn sie dieselbe Frage immer wieder stellte. „Das ist doch gegen ihre Würde“, sagte er auf meine Frage, wie er das aushalte. „Ich liebe sie doch.“
Isolation
Und jetzt – plötzlich war Mutter unerreichbar. Niemand durfte sie sehen. „Covid-Gesetze“, hieß es knapp, nur alle drei Tage dürfe man zu Besuch kommen. Vater verzweifelt, Mutter am Telefon in Tränen. Am zweiten Tag hieß es: „Ihre Mutter könnte nach Hause, sie hat nur Prellungen, keine inneren Verletzungen. Aber leider hat man eine Frau in ihr Zimmer gelegt, die positiv auf Covid getestet wurde. Sie muss zwei Wochen hier bleiben, in der Isolierstation – nein, niemand darf sie besuchen.“
Würde
Wir wussten, das würde sie nicht überleben. Vater war wütend, dann verzweifelt. Ich sprach mit dem Arzt. Der erzählte etwas von Kollateralschäden bei der Bekämpfung des Virus. Da könne man nichts machen. Viele Alte würden jetzt alleine in den Krankenhäusern sterben, Verwandte könnten sie nicht begleiten. Ich war schockiert, nahm den Kampf auf. Am dritten Tag erreichte ich, dass sie ihre Quarantäne zu Hause verbringen konnte.
Ich buche meinen Flug nach Ecuador um, sage meinem Team Bescheid. Wir holen Mutter ab. Als sie im Rollstuhl aus dem Zimmer gefahren wird, ein Aufschrei: „Helga!“ – „Elmar!“ Vater eilt den langen Gang zu ihr, mit der Schnelligkeit, die sein zweiundneunzig Jahre alter Körper zulässt: „Küss mich“… Und sie küssen sich mit Maske, die Vater dann herunterreißt … Und jetzt küssen sie sich richtig, halten sich fest, die Umstehenden haben Tränen in den Augen.
Wieder zu Hause, hört Mutter auf zu essen. Vater drängt, versucht sie zu zwingen. „Papa, […]