Es gibt Themen, die mit dicken Schleiern von Dunkelheit verhüllt sind. Oftmals verbergen jedoch gerade solche Verhüllungen die wunderbarsten Schätze und kraftvollsten Geheimnisse der lebendigen Schöpfung. Das Thema Sexualität gehört vor allem in den von den Dogmen des Christentums unterworfenen Lebensräumen zum Kerngeheimnis solch vergrabener Schätze.
Da Sprache die Fähigkeit hat, von den Ursprüngen der manifestierten und nichtmanifestierten Kräfte zu zeugen, kann sie ein probates Mittel sein, die Schleier der Dunkelheit zu durchdringen und sich den Quellen der Schöpfung anzunähern.
Sowohl in der deutschen Sprache als auch in anderen mir bekannten europäischen Sprachen will mir zunächst keiner der verwendeten Sprachbegriffe einleuchten, die im Allgemeinen dafür verwendet werden, um das Wesen der sexuellen Vereinigung treffend zu erfassen. So gebrauchen wir im Deutschen gerne Umschreibungen wie z.B. „miteinander schlafen“, „Sex haben“, „Liebe machen“ und „Geschlechtsverkehr“, oder etwas schärfere Begriffe, die von den moralischen Kräften unserer Kultur mit Obszönität belegt wurden, wie „bumsen“, „vögeln“ oder „ficken“. Während die erste Aufzählung relativ steif und ungelenk wirkt und ganz klar vom Begriff des Sex dominiert wird, bietet die zweite deutlich mehr Trittstufen, um zu den Ursprüngen der Kräfte, die die Worte in sich tragen, hinabzusteigen. Vor allem das deutsche Wort „ficken“ hat es mir hier angetan. Seine Herkunft ist der gängigen Etymologie unbekannt, also scheint sich (oder muss sich sogar) dahinter ein besonders kostbarer Schatz zu verbergen.
Durch längere Kontemplation auf dieses Wort offenbart sich mir daraus schließlich ein deutlich bildhafterer Wortlaut, nämlich das Wort „fügen“. Es ergeben sich fügen, fugen oder Fuge. Und die Vokalveränderung von „i“ zu „u“ würde auch durch das englische Wort „fuck“ Unterstützung finden. Aber was könnte denn „ficken“ bzw. „fügen“ mit den Geheimnissen des Sex zu tun haben?
„Fügen“ trägt mehrere Kräfte in sich. Es ist zum Einen das „Zusammenfügen“ zweier Geschlechterpolaritäten wie Mann und Frau zu einem Ganzen. Zum Anderen kann es aber auch „sich fügen“ bedeuten, was den Geist der Ergebenheit, der liebenden Hingabe und Demut an den Partner oder die Partnerin beschwört. Wenn zwei Menschen sich in Hingabe und Liebe ineinander fügen, um sich für kurze Zeit in ein Ganzes zu ergeben, bleiben Kräfte wie Macht, Dominanz und Unterwerfung außen vor. Der Begriff „Sex“ hingegen, abstammend vom lateinischen „secare (sectum)“ = „scheiden“, beschwört den Geist der Teilung und des Getrenntseins.
Im alten Testament wird noch ein anderer, sonderbarer Wortlaut für Geschlechtsverkehr gebraucht. Dort kann man häufig lesen: „Und er erkannte seine Frau“, und natürlich auch umgekehrt „und sie erkannte ihren Mann“. Was hat denn jetzt schon wieder „erkennen“ mit Sex, bzw. mit Ficken oder Fügen zu tun?
Mehr, als oberflächlich angenommen wird. Denn das Prinzip des Fügens, des „Ineinanderfügens“, ist die Voraussetzung für Erkennen und Erkenntnis. Erst wenn einzelne Bruch- bzw. Puzzlestücke zusammengefügt werden, ergibt sich ein vollständiges Bild – eine Anschauung. In der sexuellen Vereinigung bedeutet „erkennen“, sich im fügenden Annehmen seines Gegenübers, seines Spiegelwesens, als vollständig zu erfahren. Diese Vollständigkeit wird von uns kurzzeitig als Erleuchtungszustand erlebt, mit all den dazugehörenden wunderbaren Empfindungen, Gefühlen und Wahrnehmungen. In dieser vorübergehenden Vollkommenheit werden Mann und Frau ermächtigt, durch Zeugung und Empfängnis Schöpfer zu sein und Leben hervorzubringen.
Hier wird auch deutlich, warum die christliche Kirche mit ihren Dogmen als religiöser Welt-Statthalter des dunklen Zeitalters, des so genannten Kali-Yuga, des Zeitalters der Zerteilung und Unwissenheit, in Erscheinung trat. Dadurch, dass sie den Prozess des Erkennens (gemeint ist das Naschen von Adam und Eva vom verbotenen Baum der Erkenntnis) bereits im Paradies mit Schuld und Sünde belegte, unterdrückte sie auch einen der wichtigsten Quellströme der Erkenntnisfindung im Menschen: nämlich die heilige Verschmelzung von Mann und Frau im Akt der liebenden Vereinigung. Denn wer sich für sein „fügendes Erkennen“ schuldig und sündhaft fühlen muss, dem verkümmert die Kraft der Erkenntnis. Anstelle der Erkenntnis und Erfahrung wird dann Glauben gesetzt. Und mit dem Glauben-Müssen entstehen Machtausübung, Unterdrückung und Zwang.
Wem die Fähigkeit zu Fügung und Erkenntnis genommen ist, der kann sich nicht mehr als Teil eines natürlichen Gefüges, einer Schöpfung empfinden.
Er lebt nicht mehr in der Welt, sondern abgespalten und getrennt auf der Welt. So müssen Begriffe wie „Umwelt“ gefunden werden, die in ihrer ganzen Kälte unser Getrenntsein zum Ausdruck bringen. Zusammenhänge werden nur noch schwer erkannt. Das Leben ist dazu verdammt, auf Schollen bruchstückhaften Wissens dahinzutreiben. Die Schau auf das Ganze ist vernebelt. Die natürliche Gabe, das Einzelne zu einem Bild des Ganzen zu fügen, auch in der liebenden Fügung von Mann und Frau im Akt der Liebe, ist blockiert.
So musste der Vorgang des Sex, des Scheidens und Trennens, vorherrschend werden in unserer Welt und von ihr Besitz ergreifen. Wer von den christlichen Kirchenstiftern hätte jemals gedacht, dass ausgerechnet die eigenen Dogmen zu Sexbesessenheit, Scheidung und Trennung in unserer Welt führen?
Yoga hingegen, gespeist aus dem Füllhorn und Quell indischer Weisheit, spielt mit den Kräften des Ineinanderfügens. Er ruft die Kräfte des Geschmeidigen, des Beweglichen, des Sanften und Weichen an, die die Grundlage von Fügungen bilden. Yoga öffnet deshalb die Sehnsucht im Menschenwesen, erkennen zu wollen und erfahren zu dürfen. Sich selbst, das Andersartige und sich selbst im Andersartigen.