Atem und Bewusstsein stehen nicht nur in engster Beziehung zueinander, sie sind sogar quasi miteinander identisch. Warum es diese Einheit wiederzuentdecken gilt, anstatt den Atem in vorgegebene Bahnen zu zwingen.
Bevor wir uns der Rolle des Atems im menschlichen Sein nähern, gilt es zunächst auf geisteswissenschaftlichem Wege die Rolle des Menschen, seinen Daseinszweck und seine exponierte Stellung im kosmischen Ganzen zu erforschen. Ausgehend von dem so für uns entstandenen anschaulichen Menschenbild, können wir dann Aufgaben und Ziele einer integralen Yogawissenschaft definieren und daraus dynamische Konzepte für eine praktische Umsetzung entwickeln – sowohl im alltäglichen, prophylaktischen Gebrauch als auch in der speziell therapeutisch ausgerichteten Nutzung.
Die Quelle, das Göttliche, hauchte dem Menschen Atem ein, vermachte ihm Geist aus dem Geist, jene ersten Funken des Bewusstseins, ohne die kein Leben existiert. Was wir Atem nennen, ist der feine Motor des Lebens, der jede Zelle, jedes Atom und ebenso jede Galaxie, ja die unzählbaren Universen in ihre Rhythmen versetzt – eine unvorstellbare Kraft: unvorstellbar zart!
Grundlage für geisteswissenschaftliches Forschen sind eine bewusst gewählte und konsequent kontemplativ ausgerichtete Lebensweise sowie jahrelange Meditationserfahrung. Denn nur in tiefer Meditation, in völliger Abwesenheit mechanisch aktiver Denkvorgänge, können sich dem ernsthaft Suchenden geistige Wahrheiten enthüllen. Auf diesem Weg wird uns nun schon zu Beginn recht deutlich, dass der Mensch befähigt ist – und sich durch Übung immer mehr dazu befähigen kann –, sich weit über das tierische Instinktverhalten hinaus, aber ebenso über jene nur dem menschlichen Geist zugesprochenen komplexen assoziativen Denkvorgänge, zu erheben. Er bewegt sich hin zu einem lichtvollen, intuitiven Erfassen, das die vorstehend genannten Fähigkeiten nicht nur an Klarheit weit übertrifft, sondern ihn zu einer vollkommen anderen Seinsebene führt.
Entscheiden wir daher folgerichtig, dass der Mensch ein geistiges Wesen ist, das jedoch noch auf unterschiedlichsten Entwicklungsstufen mit dem Entwachsen aus der materiellen Welt reichlich befasst ist. Ein für ihn als „Freiheit“ empfundenes, ambivalentes Gefühl, das ihm in Folge der evolutionären Entwicklung ohne eigenes Zutun in den Schoß fiel, führte den Menschen einst – und führt ihn auch heute noch – in fortschreitende Irritation. Was im Stadium des Tieres das Instinkthafte perfekt und autonom regelte, ging ihm größtenteils verloren, entriss ihn dafür aber auch der Dumpfheit, indem seine Sinne jetzt erstmals mit dem Geist in Verbindung geführt wurden. Doch was im Zustand des „im Geiste gänzlich Neugeborenen“ spielerischen Umgang mit allen Dimensionen gewährt, scheint dem heutigen Menschen noch in weiter Ferne zu liegen.
So zeigt sich uns […]