Unterscheidet sich die alte Geheimlehre des Tantra vom »Neo-Tantra« unserer Zeit? Führt der westliche Ansatz, Orgasmus mit Spiritualität zu verbinden, zu mehr als nur gutem Sex? Oder ist diese »transzendentale Mixtur« einfach nur zum Scheitern verurteilt?
Tantra ist ein weit gefächerter Begriff, mit dem westliche Schüler indischer Spiritualität eine besondere Art von Lehren innerhalb des Hinduismus und Buddhismus bezeichnen. Was diese Lehre tatsächlich beinhaltet, kann nicht so ohne weiteres zusammengefasst werden, denn Tantra umfasst ein sehr breites Spektrum von Glaubensanschauungen und Praktiken.
Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass die meisten Schulen des Tantra die folgenden Merkmale beinhalten:
- Einweihung und eine spirituelle Jüngerschaft bei einem qualifizierten Meister;
- Der Glaube, dass Geist und Materie Manifestationen einer höheren, spirituellen Wirklichkeit sind, welche unsere allgegenwärtige, wahre Natur ist;
- Die Auffassung, dass sich die spirituelle Wirklichkeit (Nirvana) nicht von der weltlichen Existenz (Samsara) unterscheidet, sondern ihr innewohnt;
- Der Glaube an die Möglichkeit, noch im verkörperten Zustand dauerhafte Erleuchtung oder Befreiung erlangen zu können;
- Das Ziel, durch Erwecken der spirituellen Kraft, der sogenannten Kundalini-Shakti, welche im menschlichen Geist-Körper schlummert, Befreiung oder Erleuchtung zu erreichen.
- Der Glaube, dass wir viele Male geboren werden und dass dieser Zyklus erst im Augenblick der Erleuchtung unterbrochen wird. Die Kette der Wiedergeburten wird dabei durch die moralische Qualität unseres Lebens anhand unserer karmischen Handlungen bestimmt.
- Die Annahme, die besagt, dass wir gegenwärtig im Dunklen Zeitalter leben (Kali-Yuga) und dass wir deshalb jede mögliche Hilfe auf dem spirituellen Pfad nutzen sollten – einschließlich Praktiken, die von wertkonservativen Moralvorstellungen für ungebührlich gehalten werden;
- Der Glaube in die magische Wirksamkeit des Rituals, basierend auf der metaphysischen Vorstellung, dass der Mikrokosmos (d. h. das menschliche Wesen) eine getreue Widerspiegelung des Makrokosmos (d. h. des Universums) ist;
- Die Anerkennung, dass spirituelle Erleuchtung von einer ganzen Reihe von psychischen Kräften begleitet wird oder Zugang zu diesen verschafft und ein gewisses Interesse an der Ausnutzung dieser Kräfte sowohl für spirituelle als auch materielle Zwecke vorliegt.
- Das Verständnis, dass sexuelle Energie ein wichtiges Energiereservoir darstellt, welches weise genutzt werden sollte, um den spirituellen Prozess zu fördern anstatt ihn durch orgastische Entladung zu blockieren;
- Eine Betonung auf das Durchleben eigener Erfahrungen und kühnes Experimentieren im Gegensatz zu bloßem Vertrauen auf angestammtes Wissen.
Tantra ist darüber hinaus eine okkulte […]