Agnisara, die „Feuerpraxis“, und Kapalabhati, das „Schädelleuchten.
Yogis geben ihren Atempraktiken gerne bildhafte Namen. Sie wollen zum Ausdruck bringen, worum es in einer Übung geht, und welches Ziel sie verfolgt. So heißen die beiden Übungen, die ich nun vorstellen möchte, Agnisara, „die Feuerpraxis“, und Kapalabhati, „der leuchtende Schädel“. Es sind klassische Hatha-Yoga-Praktiken, die oft als Pranayamas bezeichnet werden. Das ist insofern nachvollziehbar, als es sich bei beiden Übungen um Atempraktiken handelt. Jedoch werden sie systematisch nicht den Pranayamas zugeordnet, sondern den Kriyas: „Handlungen“, die eine physische Reinigung bewirken möchten. Sie können begleitend, oder, im Falle von Agnisara und Kapalabhati ganz besonders, unmittelbar vor den eigentlichen Pranayama-Übungen durchgeführt werden. In technischer Hinsicht ist beiden gemeinsam, dass der Bauchraum dabei sehr aktiv ist und dadurch die abdominalen Organe intensiv bewegt und massiert werden. Davon abgesehen sind es aber sehr unterschiedliche Praktiken.
Im klassischen Yoga kennt man sechs Kriyas (Shatkriyas oder auch Shatkarmas): Trataka, das Reinigen der Tränenkanäle; Kapalabhati, die Reinigung des Kopfes; Neti, die Nasenreinigung; Dhauti, Techniken zur Reinigung der oberen Verdauungsorgane vom Mund bis zum Magen; Basti, die Darmreinigung; und schließlich Nauli, eine intensive abdominale Massage. Es sind freilich nicht lediglich sechs Praktiken, vielmehr versammeln sich unter dem Obergriff „Shatkarma“ zahlreiche Techniken: Die Gheranda-Samhita (GS) zum Beispiel nennt einundzwanzig Variationen von Übungen aus dem Reigen der Shatkarmas. Für Kapalabhati, um die es im Folgenden gehen soll, nennt die GS drei Variationen: Vatakrama, eine Kapalabhati mit Nasenwechselatmung, Vyutkrama, der im Grunde eine Nasenspülung ist, und Sitkrama, eine Praxis, bei der (wahrscheinlich) ebenfalls Wasser beteiligt ist, um den Mund zu reinigen.
Sehen wir uns nun die Kapalabhati-Praxis an, wie sie in der Hatha-Yoga-Pradipika (HYP) beschrieben wird, nämlich als ein „intensives Ein- und Ausatmen, das einen Blasebalg imitiert“ (HYP II.36). Damit besteht eine Ähnlichkeit zum Bhastrika-Pranayama, der „Blasebalgatmung“, die aber noch intensiver ist als Kapalabhati: Während Bhastrika nämlich eine aktive Aus- und Einatmung vorsieht – ein Prozess, der temporär in starke Hyperventilation führt, um das dann folgende Kumbhaka so lang wie möglich halten zu können – übt man Kapalabhati einfacher: Nur die Ausatmung ist aktiv, die Einatmung kommt passiv zurück, einfach indem man die Bauchdecke entspannt. Ein Kumbhaka gehört nicht zu Kapalabhati, sie ist ja eine Kriya, kein Pranayama. (Was nicht heißt, dass […]