Auf der Matte ist es einfach, ein Yogi zu sein. Das Revier ist klar abgegrenzt, niemand stört die Innenschau. Das Ambiente ist aufgeräumt und schön anzusehen, fördert Klarheit, Entspannung und Zuversicht. Man nickt sich freundlich zu und lässt sich in Ruhe. Manchmal tönt man gemeinsam feierlich als Zeichen der Verbundenheit ein harmonisches OM. Es gibt keine schwierigen Entscheidungen zu treffen, denn der Yogalehrer macht (hoffentlich) klare Ansagen. Stress, unzufriedene Partner oder quengelnde Kids müssen draußen bleiben und versperren nicht bockig den Weg zur Erleuchtung.
Superheldin Yogamama
Ganz anders sieht der Alltag als Yogamama aus. Und den beschreibt die Yogalehrerin und Journalistin Stephanie Schönberger ganz uneitel und herrlich humorvoll in ihrem neuen Buch: Das Karma, meine Familie und ich – Yoga-Philosophie für einen entspannteren Alltag.
Hineingeworfen in das normale Chaos, das ein Leben mit Kindern, Karriere, Yogaliebe und Partnerschaft bedeutet, hin- und hergerissen zwischen manchmal miefigem Landleben und hektischer Großstadt fällt es weitaus schwerer, gelassen, entspannt und ganz im Einklang mit sich und der Welt zu sein.
Den Geist beruhigen statt die Nerven zu verlieren
Es ist wirklich bezaubernd, packend, erfrischend ehrlich und sehr lehrreich was Stephanie Schönberger aus ihrem Leben erzählt. Auf jeder zweiten oder dritten Seite erkennt man sich wieder und kann nicht anders als heftig zu nicken oder wissend zu schmunzeln. Der einzige Fehler, den ich an diesem Buch finden kann, ist, dass man aufgrund des Titels denken könnte, es wäre nur etwas für Mütter (zu denen ich nicht gehöre). Ich dagegen finde: Es ist ein Buch für jeden, der sich für Yoga interessiert.
Denn obwohl die Autorin so charmant, witzig und leicht erzählt, nimmt sie den Leser doch mit in die Tiefen der Yogaweisheit. Kompetent vermittelt sie, wie uns dieses uralte Wissen noch heute hilfreich sein kann, Rat, Orientierung und Trost spendet, Werkzeuge für ganz moderne Probleme anbietet, wie z.B. Stress, Zweifel, Überforderung, Perfektionismus oder Mutlosigkeit. Dabei bezieht sie sich auf das Yogasutra von Patanjali, aber auch auf verschiedene weitere Schriften, große Meister wie T. Krishnamacharya oder TKV Desikachar und ihre eigenen Lehrer, wie z.B. Sriram, Helga Simon-Wagenbach und Eberhard Bärr.
Yoga wirklich leben
Willigis Jäger sagt: „Ein spiritueller Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg.“ Ich bin überzeugt: Auch für den Yogi beginnt die wahre Praxis abseits der Matte. Dieses herrliche Buch zeigt uns, wie das geht. Es vermittelt leicht lesbar, wie wir die Yogaphilosophie stimmig und ohne Dogma in unser Leben integrieren können. Es ermutigt uns, mit unseren Schwächen liebevoll und humorvoll umzugehen, mehr Mitgefühl für jene zu entwickeln, die mit uns unterwegs sind. Es lässt uns verstehen, dass wir unsere Kinder und Partner nicht nur als Ruhestörer, sondern auch als Lehrmeister und Inspirationsquellen betrachten können. Ein Buch für Anfänger, Fortgeschrittene – und alle anderen auch.
Stephanie Schönberger: Das Karma, meine Familie und ich – Yoga-Philosophie für einen entspannteren Alltag, Beltz Verlag 2017