Katchie Ananda wird wegen ihrer Wahrhaftigkeit und der davon ausgehenden Inspiration weltweit geschätzt und geliebt. Mit YOGA AKTUELL sprach sie über die Integration spiritueller Erkenntnisse in die wechselhaften Erfahrungen unseres Lebens und über die tantrische Interpretation des Yoga, die jeden Teil unseres Daseins als gleichwertig anerkennt
Katchie Ananda ist eine der international bekanntesten Yoga- und Dharmalehrerinnen. Seit mehr als 20 Jahren unterrichtet sie mit viel Humor und Herzblut. Sie gibt auf der ganzen Welt Retreats und Fortbildungen. Dabei liegt ihr Fokus neben einem erfrischenden Yoga-Unterricht auf einer Sensibilisierung für Menschen- und Tierrechte, Umwelt und soziale Gerechtigkeit.
Interview
YOGA AKTUELL: Wie bist du zum Yoga gekommen?
Katchie Ananda: Ich bin über den Tanz zum Yoga gekommen, den ich bereits als kleines Mädchen liebte. Irgendwie hat mich die Verbindung von Spiritualität und Schönheit im physischen Ausdruck fasziniert. Ich habe intuitiv gespürt, dass es dem Sinn des Lebens nahe kommt, Schönheit, Geist und Liebe im körperlichen Ausdruck zu vereinen. Auf Grund dieser Intuition habe ich bereits als Teenager Tanzunterricht genommen und bin dann schließlich meinem Wunsch gefolgt, eine Karriere als Profitänzerin zu machen. Ich habe die Schule für zeitgenössischen Tanz allerdings abgebrochen, weil mir bewusst wurde, was in der Tanzszene passiert. Und das hatte nichts mit dem zu tun, was ich mir vorgestellt hatte. Anstatt eine Verbindung zum Göttlichen herzustellen, mussten wir unsere Körper quälen. Anstatt dem Körper die Möglichkeit zu geben, seine natürliche Schönheit zu entfalten, entwickelten wir Anorexie. Und anstatt eine Gemeinschaft zu bilden, wurden wir ehrgeizig, und die Mädchen traten untereinander in einen schrecklichen Konkurrenzkampf. Das alles war eindeutig nicht das, was ich gesucht hatte. Ich besuchte dann einen Yogakurs, um mich zu entspannen. Es war eine sanfte Sivananda-Klasse. Sehr schnell erfuhr ich dort das Gefühl von Ruhe und Entspannung. Und bereits nach einigen Wochen lernte ich den Kopfstand kennen – und lieben. Seitdem liebe ich ihn so sehr, dass kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht auf meinem Kopf stehe. Manchmal scherze ich in meinen Klassen und erzähle meinen Yogaschülern, dass ich gerne in dieser Position sterben möchte.
Entflammte durch Sivananda das innere Feuer für Yoga, das du heute so leidenschaftlich vermittelst?
So richtig „klick“ gemacht hat es bei mir ein paar Jahre später während meiner ersten Yogastunde bei Sharon Gannon im Jivamukti Center auf der 2nd Avenue im East Village in New York. Ich erkannte, dass Yoga mir genau das geben kann, was ich mein ganzes Leben lang gesucht hatte: eine heilige Verbindung von Körper und Spiritualität. Er zeigte mir die Essenz dessen auf, was es bedeutet, Mensch zu sein. Dies war eine Zeit, in der ich tiefe Einsichten hatte und wusste, dass ich meinen wahren Weg, mein Ziel in diesem Leben gefunden hatte.
Ist es das heute auch noch so?
Ja (lacht). Es ist für mich heute noch genauso wahr wie damals.
Fühlst du dich durch diese Erfahrung zu etwas Besonderem berufen?
Nein (lacht wieder). Was nützen uns besondere spirituelle Erfahrungen, wenn wir nicht in der Lage, sie in unseren Alltag zu bringen? Mein Lehrer, Jack Kornfield, warnt uns immer davor, uns für etwas Besonderes zu halten, nur weil wir tiefe Erfahrungen machen. Sie kommen und gehen, wenn wir regelmäßig praktizieren. Aber der Punkt ist, diese Einsichten in unser alltägliches, gewöhnliches Leben zu integrieren. Dadurch wird die spirituelle Praxis nicht zu einer Reise von hier nach dort, sondern von dort nach hier – in das Jetzt. Manchmal wird das Festhalten an besonderen Erlebnissen als „die goldene Kette“ bezeichnet. Es ist zwar keine Kette aus Eisen, aber es ist immer noch eine Kette. Freiheit bedeutet, dass wir die Höhen und Tiefen unseres Lebens mit Weisheit, Gleichmut und Mitgefühl leben, anstatt dem Bild eines vollkommenen Lebens hinterherzulaufen. Wir sind nicht hier, um uns zu perfektionieren, sondern um unsere Liebe zu vervollkommnen. Die Wahrheit des Dharma ist, dass wir, so lange wir leben, immer Lust und Schmerz, Freude und Leid, Gewinn und Verlust erfahren werden. Die Übung besteht darin, bewusster zu werden und unsere Erkenntnisse in unser Leben zu integrieren. Es gibt keinen „erleuchtet Ruhestand“, wie Jack Kornfield zu sagen pflegt.
Du zitierst deinen Lehrer Jack Kornfield, den Autor des Buches „Das weise Herz“. Wie kam es dazu, dass du trotz deiner offensichtlichen Liebe zum Yoga einen buddhistischen Lehrer aufgesucht hast?
Während meiner ersten 10 Jahre bei Jivamukti – in den 1990ern – traf ich viele wunderbare Lehrer, Gurus aus allen möglichen spirituellen Traditionen. Damals habe ich noch an eine Erleuchtung geglaubt, die sich in einer endgültigen Freiheit zeigt. Krishna Das und andere haben stets begeistert von ihren Gurus gesprochen, die „größer als das Leben“ sind! Ich war immer ein bisschen neidisch auf sie. Und gleichzeitig habe ich von ihnen gehört, dass, wenn der Schüler bereit ist, der Lehrer erscheinen wird. Und so wartete ich während meiner Suche auf meinen Guru. Der erste Schock kam, als Amrit Desai in Ungnade fiel und ein Skandal die Yogawelt erschüttete. Aber wie sich herausstellte, war er nur der Erste von vielen, und ich begann, die Idee eines „ultimativen Lehrers“ oder Gurus in Frage zu stellen.
Zum Glück besitze ich eine gesunde Portion Menschenverstand, und als das Konzept „Guru“ zu bröckeln begann, bekam ich eine Ahnung, dass mein Lehrer vielleicht etwas anders aussehen würde, so dass ich bereit war. Irgendwann wurde mir das Buch „Das weise Herz“ von Jack Kornfield empfohlen, und bereits nach ein paar Seiten wurde ich wie vom Blitz getroffen und erkannte, dass ich meinen Lehrer gefunden hatte. Das war im Jahr 1999. Ich las alle verfügbaren Bücher von ihm und besuchte dann bald schon ein Retreat von ihm. Ich erinnere mich, dass ich als Geste der Verehrung seine Füße berühren wollte. Und ich meinte es wirklich ernst, denn zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass dieser Mann tatsächlich mein Lehrer ist. Jack ließ es aber nicht zu. Er zog mich sofort hoch und begann ein Gespräch mit mir. Er wollte kein Guru sein.
Jack und alle Lehrer, die er ausbildete, waren in erster Linie Menschen auf dem Weg des Dharma. Sie haben nie versucht, ein „perfektes“ Bild von sich zu vermitteln. Ganz im Gegenteil. Sie sprachen immer über ihr Leiden und ihre Kämpfe als Menschen und erklärten, wie die Dharma-Lehre ihnen dabei geholfen hatte, ihre Schwierigkeiten zu überwinden und einen Sinn in ihrem Leben zu finden. Und genau das war es, was ich gesucht hatte! Das waren für mich die wahren Lehrer. Ich wollte kein perfektes, makelloses Bild eines Lehrers, sondern ich wollte eine reale Person, die mir erklärt, wie auch ich meine Schwierigkeiten überwinden könnte. Ich liebe Jack nicht, weil er perfekt ist, sondern weil er keine Angst hat, zuzugeben, dass er es nicht ist.
Reicht der Yogapfad deines Erachtens also nicht aus, um den spirituellen Weg zu gehen?
Lange kamen die meisten Yogalehren in der Form von dem, was ich „klassischen Yoga“ nennen würde, zu mir. Manchmal wird dieser Pfad als vertikaler Weg beschrieben, wie eine Leiter. Zum Beispiel spricht das Ashtanga- (achtgliedrige) System von Patanjali darüber, zuerst über die Yamas und Nyamas die ethischen Grundlagen zu schaffen. Dann folgen Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und schließlich Samadhi. Üben wir jeden Schritt sorgfältig, erreichen wir eines Tages vielleicht den Zustand des Samadhi. Zum Glück hörte ich dann eines Tages von meinem Lehrer Richard Freeman eine tantrische Erklärung dieser Lehren, in der sie eher als horizontaler Weg beschrieben werden. Der achtgliedrige Weg kann dann eher als Spinne betrachtet werden, anstatt als eine Leiter. Eine Spinne braucht alle acht Glieder, um sich zu bewegen – einschließlich des Samadhi.
Da schließt sich wieder der Kreis zu der Aussage, dass es keinen „erleuchteten Ruhestand“ gibt, oder?
Ja, genau! Die meisten Menschen erleben immer wieder Momente der Freiheit. Aber da wir so konditioniert sind, die ultimative Freiheit zu suchen, übersehen die meisten von uns diese vielen kleinen Momente der Freiheit, weil wir keinen Bezugsrahmen für sie haben. Tantra benutzt hier das Bild eines Wandteppichs, auf dem viele Themen und Farben vorhanden sind. Oder aber den Webstuhl, auf dem der Wandteppich gewebt wird. Jeder Knoten oder Faden auf dem Wandteppich wird als wertvoll erachtet. Es geschieht einfach durch das Weben des Ganzen, dass die Bedeutung klar wird, so wie das Puzzle erst durch alle einzelnen Teile zu einem fertigen Bild wird. Durch diese Lehre lernen wir, jeden Teil unseres Lebens zu schätzen und verschiedene Teile von uns selbst in Harmonie miteinander zu integrieren.
Was gefällt dir noch gut an der tantrischen Sichtweise?
In der tantrischen Philosophie ist der Himmel nicht besser als die Erde, oder das Männliche nicht wertvoller als das Weibliche. Auch sind die Menschen nicht notwendigerweise wichtiger als die Tiere. Es ist auch üblich, dass der Lehrer nicht höher sitzt als der Schüler. Es symbolisiert, dass wir eine Gemeinschaft sind und wir alle etwas zum Ganzen beitragen können.
Die meisten Yogatexte können entweder in einer klassischen oder in einer tantrischen Weise interpretiert werden. Dies erklärt die unglaublich große Vielfalt von Übersetzungen all dieser alten Texten. Wird ein Text im klassischen Stil übersetzt, werden häufig Beschreibungen wie „oben und unten“ oder „gut und schlecht“ verwendet. In einer der klassischen Übersetzungen der Bhagavad-Gita z.B wird Dharma als gut und göttlich erklärt. Er wird auch als die Bewegung nach oben beschrieben, von der Materie zum Geist. Adharma hingegen wird wegen seiner Bewegung nach unten in die Materie und Erde als schlecht und böse betrachtet. Diese Übersetzung ist meiner Meinung nach bedauerlich. In der tantrischen Philosophie verstehen wir, dass oben und unten unterschiedlich sind, aber deswegen das Eine nicht weniger wertvoll ist als das Andere. Das gefällt mir einfach gut. In der gleichen Weise assoziieren wir oft Licht mit Güte, während Finsternis bedrohlich und als böse dargestellt wird. Wir alle kennen den übermäßigen geistigen „Sweet Talk“ in der New-Age-Bewegung und in vielen spirituellen Kreisen. Wir lernen, dass wir das Licht anzustreben haben. Aber wenn wir mal länger darüber nachdenken, begreifen wir, dass alle Dinge eine Periode der Dunkelheit brauchen. Das einfachste und ergreifendste Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass ein Baby neun Monate braucht, um in Mutterleib zu wachsen. Für eine gewisse Zeit muss auch Saatgut in der Dunkelheit der fruchtbaren Erde reifen, bevor es seine Reise in das Licht machen kann. Deshalb ist Dunkelheit nicht gleich schlecht und böse. Es gibt sowohl für die Dunkelheit als auch für das Licht eine Zeit.
Zurück zur Integration der Praxis in den Alltag. Übst du regelmäßig?
Ja, ich übe normalerweise jeden Tag. Warum? Ram Das formulierte es sehr schön, indem er sagte: „Zunächst einmal wirst du deine spirituelle Praxis als limitierten Teil deines Lebens betrachten. Mit der Zeit aber wirst du erkennen, dass alles, was du tust, ein Teil deiner Praxis ist. Anfangs wirst du dich auch fragen, wie lange diese Reise überhaupt dauern wird und ob du sie in deinem Leben überhaupt schaffen wirst. Und später wirst du erkennen, dass das, wohin du gehst, hier ist. Und dann wirst du aufhören zu fragen. Später wirst du deine Praxis tun und sehen, dass es das ist, worum es geht.“
Viele Jahre habe ich mich mit Willenskraft und Disziplin aufs Kissen oder auf meine Matte gebracht, um meine Praxis zu machen. Ich tat dies, ob ich Lust dazu hatte oder nicht. Dies war ein wichtiger Schritt. Heute habe ich nur meinen Willen. Pflicht und Disziplin lasse ich draußen. Das Ziel ist es, auf meine Matte zu gehen – und dann einfach das zu tun, was getan werden muss. An manchen Tagen ist meine Praxis energisch und wild, und an manchen Tagen ist sie wohltuend und beruhigend. Ich weiß nie, was passieren wird, bis ich auf meiner Matte bin.
Wenn das Leben schwierig oder anstrengend ist – und das ist es manchmal bei meinen häufigen Unterrichtstouren nach Europa, wo ich non-stop unterrichte – kann es sehr gut sein, dass ich einen Sonnengruß mache und mich dann in Viparita Karani für den Rest der Praxis ausruhe.
Nachdem ich mich durch meine Praxis immer wohler fühle und mein Leben dadurch besser handhaben kann, warum sollte ich nicht regelmäßig üben?
Und wie sieht es mit deiner Meditationspraxis aus?
In meiner Meditationspraxis lautet mein Mantra: Nimm, was du bekommst.
Du strahlst etwas sehr Wildes, Lebendiges aus. Wie können auch andere Frauen diese wilde Weiblichkeit in sich aktivieren?
Ich glaube, alle Frauen sind heimlich wild! Und wenn wir das, was wir tun „sollten“, und wer wir sein „sollten“, beiseite lassen und unseren Dharma leben und authentisch unserer wahren Natur entsprechend sind, wird diese Wildheit auf die eine oder andere Art und Weise Ausdruck finden.
Katchie Ananda wurde in der Schweiz geboren und lebt heute mit ihrem Ehemann Joshua und Hund Leelou in Santa Fe, New Mexiko.
www.katchieananda.com