Handelt es sich beim Yoga um eine Wissenschaft?
Viele der ersten Yogis, die Ende des 19. Jahrhunderts in den Westen kamen, verkündeten Yoga als Wissenschaft, vergleichbar mit der modernen Naturwissenschaft. Yoga-Übungen seien wie Experimente in der Physik oder Chemie. Yoga wirkt, und seine Ergebnisse sind für jeden konkret erfahrbar und somit nachweisbar. Viele Menschen, die an die Wahrheit der Wissenschaft glaubten, wurden so von der Wirksamkeit des Yoga überzeugt. Andere hielten jedoch dagegen. Yoga eröffne eine Dimension, die uns viel mehr gibt, als man je wissenschaftlich nachweisen kann. Yoga ist nicht Wissenschaft, sondern bedeutet vielmehr die Rettung vor unserer auf Messbarkeit reduzierten, wissenschaftlich technisierten Welt. Wem ist Recht zu geben?
Der eigentliche Sinn des Yoga wird jedoch erst deutlich, wenn man aufhört zu messen und zu denken, und wenn man selbst erfährt, worüber so lange geforscht wurde.
Wissenschaft: die Befreiung von vorgegebenen Wahrheiten
Um die Frage fundiert beantworten zu können, ist zuerst zu klären, worum es in der „Wissenschaft“ überhaupt geht. Wissenschaft zeigt Wege zu Wahrheit. Dabei werden jedoch nicht vorgegebene Wahrheiten aus heiligen Schriften, von göttlichen Gurus und auch nicht von Wikipedia übernommen. Wissenschaft zeigt nachvollziehbare Methoden auf, durch die prinzipiell jeder den Weg zur eigenen Einsicht gehen kann. Um herauszufinden, ob etwas wahr oder falsch ist, führt der Naturwissenschaftler Experimente durch, in welchen er selbst erfahren kann, ob eine Hypothese stimmt oder nicht. Dies klingt heute zwar selbstverständlich, aus der Geschichte wissen wir jedoch, dass die Entdeckung der Naturwissenschaft für das Abendland eine Revolution bedeutete. Naturwissenschaftler wie Galileo Galilei, die das althergebrachte Wahrheitsmonopol infrage stellten, wurden mit dem Scheiterhaufen oder mit Kerkerhaft bedroht. Die kirchliche Autorität wehrte sich vehement, aber letztlich vergebens.
In ganz paralleler Weise lösten sich auch die Yogis von der Autorität der hinduistischen Priesterschaft, wenn sie nicht den vorgegebenen Wahrheiten der heiligen Texte, sondern ihrem eigenen Erfahrungsweg folgen wollten. Hier gab es jedoch interessanterweise nie nennenswerte Auseinandersetzungen. Ganz im Gegenteil: Yoga wurde in die heiligen Texte aufgenommen. So ist schon in der oft als „Bibel der Hindus“ bezeichneten Bhagavadgita zu lesen:
„Was an Nutzen in einem Brunnen liegt, in den von allen Seiten Wasser sich ergießt, so viel liegt in allen Veden für einen […]