„Das Yoga-Geschehen in den USA tritt mit etwas zeitlicher Verzögerung auch in Deutschland ein.“ Dieser Satz war in den letzten Jahren immer eine Verheißung. Der Anteil der Praktizierenden an der Gesamtbevölkerung ist auf der anderen Seite des Atlantiks deutlich höher als in Deutschland und stieg immer weiter an. Und tatsächlich nahm auch die Zahl der Yoga Übenden in Deutschland stetig zu.
Doch die neusten Meldungen schließender Yogastudios in den USA müssen die deutschen Studios nachdenklich machen. Eins der prominentesten Beispiele ist YogaWorks. YogaWorks war eine der größten Yogastudio-Ketten weltweit mit über 60 Standorten in den USA. Anfang 2019 warb das Unternehmen noch offensiv mit dem Ankauf neuer Studios. Ende 2020 hat YogaWorks alle seine Yogastudios für immer geschlossen. YogaWorks existiert nur noch als Online-Yogastudio. Sicher, das Geschäftsmodell von YogaWorks konnte man schon 2019 kritisch sehen. Aber auch viele andere Yogastudios in den USA kommen unter dem Eindruck der Corona-Krise zu dem Entschluss, dass ein physischer Standort nicht aufrecht zu erhalten ist. So fragte beispielsweise die New York Times im September „Is This the End of the New York Yoga Studio?„.
Und so sollten wir uns auch in Deutschland fragen, was Yogastudios machen können, um in Zukunft noch Teil des Stadtbildes zu sein.
Lässt sich die Situation in den USA überhaupt auf deutsche Yogastudios übertragen?
Die beiden obigen Beispiele sind durchaus speziell. Eine mit YogaWorks vergleichbare Yogastudio Kette gibt es in Deutschland nicht. Und die Immobilienpreise in New York unterscheiden sich deutlich von denen in Freiburg, Cottbus, Köln oder Aachen. Aber auch in Deutschland hängt die Profitabilität eines Yogastudios wesentlich von der Auslastung ab. Gerade in kleineren oder mittelgroßen Städten gibt es oft nur zwei bis drei Zeitspannen pro Tag, an denen genug Schüler in eine Klasse kommen, um den Kursraum überhaupt zu öffnen. Diese Zeitfenster müssen dann effektiv genutzt werden und so kommt es zu engen Abständen zwischen den Yogamatten.
Inwiefern Yogaschüler „nach“ Corona volle Kursräume akzeptieren werden, bleibt abzuwarten. Für die meisten Yogastudios wird es dazu aber kaum eine Alternative geben, wenn nicht an der Preisschraube gedreht werden soll.
Jedenfalls wollen oder können auch in Deutschland erste Yogastudios nicht mehr auf dieses „danach“ warten und schließen ihre Studios. Das prominenteste Beispiel ist sicher das Spirit Yoga Berlin Mitte Studio. Aber auch bei uns in Aachen gibt es schon einige Fälle.
Was gerade geschieht
Schon vor der Pandemie hat der Großteil der Yogaschüler nicht im Yogastudio, im Fitnessstudio oder der VHS praktiziert, sondern zu Hause. Die wichtigste Studie zum Yogamarkt in Deutschland des BDY gibt den Anteil derer, die 2018 zu Hause Yoga übten, mit 54 % an. Nun gewöhnen sich auch noch viele Yogis, die bisher vor allem im Studio übten, an eine regelmäßige Yogapraxis daheim.
Einigen Yogastudios gelingt der Schritt in die virtuelle Welt derzeit gut, andere haben erhebliche Probleme, ihre Schüler zum online Üben zu begeistern. Eine große Menge an neuen Online-Yoga-Anbietern drängt auf einen Markt, der nicht neu entsteht, sondern mit dem großen YouTube Kanal von Mady Morrison und mit Yoga Easy schon konsolidiert war. Während offline sehr viele kleine Anbieter lokale Communities aufgebaut haben, funktioniert die digitale Welt primär über Skaleneffekte. In dieser ohnehin schon kritischen Ausgangsposition zerfasern die lokalen Communities nun noch mehr. Nicht nur Studios bringen das Angebot verschiedener Yogalehrer online, sondern auch Yogalehrer gehen vermehrt direkt diesen Weg.
Es sieht ja auch naheliegend aus: Wenn ich als Yogalehrer vorher an vielen verschiedenen Orten in der Stadt unterrichtet habe und diese Standorte nun alle geschlossen sind, dann biete ich doch jetzt einfach selbst Onlinekurse an. Gut möglich, dass mich auch nicht alle Studios gefragt haben, ob ich online für sie unterrichten möchte, da die Studioinhaber glauben, an dieser Stelle Geld sparen zu müssen.
Die Schüler aus den verschiedenen Studios, in denen ich normalerweise unterrichte, können dann jetzt einfach zum gleichen Termin einschalten. Über Instagram und Co. folgen mir sicherlich 50 % meiner Schüler, also erfahren diese auch von meinem Angebot. Schnell einen Zoom-Account angelegt, den Preis 30 % unter dem der lokalen Studios angesetzt (schließlich habe ich kaum Fixkosten) und los geht`s!
Und vielleicht geht es sogar ziemlich gut los. Viele Yogastudios haben vorher schlecht gezahlt und so verdiene ich als freiberuflicher Yogalehrer möglicherweise genau so viel Geld wie vorher. Zudem fahre ich nicht mehr die ganze Zeit durch die Stadt.
Kaum Sichtbarkeit in der Plattformwelt außerhalb der eigenen Blase
Mittel- bis langfristig werden aber alle Yogastudios und Yogalehrer, die nun online Yoga anbieten, immer wieder neue Schüler gewinnen müssen. Es kommt einfach vor, dass sich ein Schüler verletzt, schwanger wird, Stress auf der Arbeit hat oder sich eine neue Freizeitbeschäftigung sucht. Ist einmal mit der online Yogaroutine gebrochen, kommt der- oder diejenige womöglich nicht mehr zurück. So ist das bei uns im Yogastudio und so ist es auch online.
Es ist anzunehmen, dass die organische Reichweite der meisten Akteure nicht ausreichen wird, um immer wieder eine ausreichende Zahl neuer Yogaschüler anzuziehen. Die eigenen Follower haben recht schnell alle mitbekommen, was man online anbietet. Dahingegen kann man neue Interessenten ohne finanzielle Werbeaufwendungen nur sehr schwer ansprechen. Dafür bevorzugen die Algorithmen von Instagram, YouTube und Co. große Accounts zu stark.
Wie sollten sich Yogastudios und Yogalehrer also verhalten?
Die Frage, wie sich Yogastudios und Yogalehrer verhalten sollen, ist nicht leicht zu beantworten. Die Situation stellt sich dar wie im klassischen Gefangenendilemma. Aus Sicht der einzelnen Yogastudios mag es rational sein, Klassen zusammenzulegen und die Honorarkosten für Yogalehrer zu senken. Und aus Sicht einzelner Yogalehrer kann es rational sein, ein eigenes Online-Yogaangebot zu erstellen. Für die gesamte Yogacommunity erscheint mir dieses Vorgehen nicht optimal.
Gemeinsame Plattformen aufbauen
Eine Idee könnte sein, dass sich Yogalehrer und/oder Yogastudios zusammentun und gemeinsame Yoga-Online-Plattformen etablieren. So können Ressourcen und Reichweiten gebündelt werden und es ist unter Umständen leichter, eine für Online-Verhältnisse relevante Größe zu erreichen. Solche gemeinsamen Projekte können sowohl lokal als auch überregional entstehen.
Auf kurze Sicht kann die Konversionsrate jedes Einzelnen in einer Gemeinschaft geringer sein. Meistens nimmt man desto mehr Follower mit, je stärker das Angebot mit dem eigenen Gesicht verbunden ist. Ich denke aber, dass die größeren Ressourcen eines Zusammenschlusses nachhaltiger sein sollten.
Qualität ist Trumpf
Ob nun zusammengeschlossen oder jeder für sich: Ich bin überzeugt davon, dass eine Differenzierung im riesigen Pool der Online-Yogaangebote nur über Qualität möglich ist. Bezüglich der Unterrichtsqualität empfehle ich Tinas Yoga-Individual-Blogbeitrag. Zudem sollten sich alle Yogaanbieter auch mit der Audio- und Bildqualität auseinandersetzen. Ein Race-to-the-bottom über die Preisschiene wird nur für wenige und in der Regel auch nur kurzfristig erfolgreich sein.
Spätestens jetzt über Öffnungskonzepte nachdenken
Wie bereits beschrieben, sehe ich im reinen Online-Yogaunterricht für die meisten Yogastudios und -lehrer keine prosperierende Zukunft. Daher erachte ich es als sehr wichtig, Zeit zu investieren, um an Konzepten für verantwortungsvolle Öffnungen zu arbeiten. Hier liegt die Kernkompetenz des Großteils der Yogalehrer und Yogastudios. Wir sollten uns auch in diesen Zeiten klarmachen, dass es immer sinnvoll ist, Stärken zu nutzen und nicht nur an Schwachstellen zu arbeiten. Dabei ist es alles andere als trivial, einen Ausgleich zwischen Sicherheit und Abständen auf der einen und Wirtschaftlichkeit und Yogastudiogefühl auf der anderen Seite zu finden. Hinzu kommen regulatorische Vorgaben, die in ihrer Ausgestaltung noch nicht absehbar sind. Aber gerade daher ist es essenziell, dass wir schon jetzt verschiedene Pläne entwickeln.
In diesem Kontext bietet die Corona Krise sogar eine Chance. Viele Yogastudios haben sich in den letzten Monaten wahrscheinlich so intensiv mit ihren Einnahmen und Ausgaben beschäftigt wie noch nie zuvor. Sind Flatrate-Preise weiter der richtige Weg, wenn weniger Teilnehmer im Kurs sind/sein können? Spiegelt sich das liebevoll eingerichtete und dekorierte Yogastudio im Preis für eine Yogastunde wirklich wider? Bezahlen wir hoch qualifizierte Yogalehrer angemessen? Leisten unsere Buchungssysteme eigentlich das, was wir brauchen?
Sinnvolle hybride Modelle entwickeln
Zuletzt bietet die neue Offenheit für Online-Konzepte für Yogastudios auch die Möglichkeit, neue Symbiosen aus Online-Yogaunterricht und Klassen vor Ort zu schaffen. Einfach im Studio eine kleine Gruppe zu unterrichten und für weitere Teilnehmer zu streamen, scheint mir dabei langfristig nicht der richtige Ansatz zu sein. Hier ist die Gefahr hoch, am Ende weder den Schülern vor Ort noch denen zu Hause gerecht zu werden. Vielmehr kann ich mir vorstellen, die Vorteile der beiden Unterrichtsarten gezielt zu nutzen, um hybride Modelle zu entwickeln. Vielleicht gibt es dann bald Unterrichtsreihen, die didaktisch so aufbereitet sind, dass es wirklich sinnvoll ist, Teile in Präsenz im Studio und Teile per Livestream zu unterrichten.
Denn eins steht wohl fest: Das Yogastudio der Zukunft wird digitaler sein, als es vor der Pandemie war.
Wie ist deine Meinung? Ist meine Sicht zu pessimistisch, oder stimmst du zu? Kennst du ein Yogastudio, einen Yogalehrer, oder ein Konzept, das/der mit diesen Herausforderungen gut umgeht? In jedem Fall freue ich mich über einen Kommentar!