Erkenn deine Ängste, steh zu ihnen und lass sie los … Unsere eigenen Ängste anzunehmen und zu transformieren ist wohl eine der größten spirituellen Übungen im Leben. Aber: Sie kann auch eine der heilsamsten sein.
Nicht umsonst wird im Yoga die Angst, und hier insbesondere die Angst vor dem Tod (Abhinivesha), als die stärkste der fünf störenden Energien (Klesha) bezeichnet. Angst ist aber nicht nur schlecht. An und für sich und in einem angemessenen Rahmen ist die Angst eines der wichtigsten Gefühle des Menschen. Sie unterstützt uns darin, wach zu bleiben, um Gefahren möglichst schnell zu erkennen und körperlich und mental entsprechend auf sie zu reagieren. So schützt uns ein gesundes Maß an Angst zum Beispiel davor, in bestimmten Situationen einfach nur einem Impuls zu folgen. Die Angst ist aber auch die tiefste Ausdrucksform unserer Liebe zum Leben. In der Angst erfahren wir unsere Verletzlichkeit und unsere Vergänglichkeit.
Wenn es uns jedoch möglich, ehrlich auf das Leben zu schauen, so erkennen wir, dass alles vergänglich ist. Und das ist auch gut so. Schlechte Zeiten vergehen! Schlechte Gefühle vergehen! Und natürlich vergehen auch gute Zeiten! Die Vergänglichkeit ist die Essenz des Lebens: Verlust, Krankheit oder Tod gehören zum Leben wie die Nacht zum Tag. Was genau es ist, das unsere eigene Hand irgendwann einmal kalt werden lässt, weiß keiner von uns. Aber dass dies eines Tages der Fall sein wird, sollte jeder für sich in Betracht ziehen. Und ohne pessimistisch zu sein, sollte man sich auch vor Augen halten, dass es bereits morgen eintreten könnte und nicht erst in fünfzig Jahren. Der Dalai Lama hat einmal gesagt, dass man nicht weiß, was eher kommt, der morgige Tag oder das nächste Leben. Deshalb rät er, regelmäßig die eigene Sterblichkeit zu kontemplieren. Forschungen bestätigen diesen Rat: Menschen, die jeden Tag über ihren eigenen Tod meditieren, sind glücklicher als jene, die den Tod ausblenden.
Ängste können sich jeweils vor dem Hintergrund der eigenen Biografie und einer aktuellen Situation oder Krise verschieben und uns sehr lähmen. In den letzten Jahren hatten zum Beispiel viele Menschen große Angst vor Terroranschlägen, andere vor einem politischen Rechtsruck, wieder andere vor der zunehmenden Digitalisierung oder der zunehmenden staatlichen Überwachung und den daraus entstehenden Konsequenzen. Seit Anfang dieses Jahres […]