Die Klimakrise brachte dem empirischen Menschen die wichtige Erkenntnis, dass es „Menschengemachtes“ gibt. Wird uns die Corona-Krise ähnliche Erleuchtungserlebnisse bescheren? „Menschengemacht“ ist ein neuzeitlicher Begriff für Karma. Die Karma-Lehre enthüllt uns, dass die gesamte Schöpfung den Prinzipien von Ursache und Wirkung unterliegt, die durch unsere Handlungen entstehen. „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück“ ist eine alte im Deutschen gebräuchliche Redewendung dafür. Da unserem Tun und Handeln Gedanken vorausgehen, ist der Ursprung für unser Karma bereits in der Art und Weise angesiedelt wie wir denken. Gedanken sind Worte, Worte sind Klang. Mit Worten erschaffen wir, je nach Klangfärbung, unsere Welt. So ist die Welt, wie wir sie erleben, die „Ant-wort“ auf das zuvor in unserem Denken gedachte „Wort“, und wir sind aufgefordert, „Ver-ant-wort-ung“ dafür zu übernehmen. Wie übernimmt man Verantwortung? Indem wir annehmen, was ist, und nicht gegen unser eigenes Schöpfungswerk ankämpfen, auch wenn es manchmal noch so düster und ungerecht erscheinen mag. Denn alles in unserem Universum ist entsprechend den Prinzipien von Ursache und Wirkung an seinem rechten Platz.
In der alten Überlieferung der Maitri-Upanishad heißt es: „So wie man denkt, so wird man; das ist das ewige Geheimnis.“ So erscheinen wir Kraft dieses Geheimnisses als „Ge-word-enes“, als „Geronnenes“, als Traumgeschöpf unserer Gedanken, unserer Träume und Vorstellungen. Erscheinen als unbeständiges Spiel aus Licht und Schatten auf der beständigen Leinwand der All-Seele Atman-Brahman. Das flackernde Spiel von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten, von Sonnenschein und Regenwetter, von Freude und Leid erzeugt dabei Stimmungen im Spektrum von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Diese von Stimmungen gebeutelte Welt wird in der Überlieferung Maya genannt, oder „Schöpfung von scheinbarer Konsistenz“, oder „das, was nicht ewig ist“, oder schlicht und ergreifend „täuschend echte Illusion“.
Der Mensch, ja die gesamte Welt, eine bloße, unwirkliche Erscheinung von Formen? In einem Traumspiel? Das muss man erstmal verdauen.
Jedoch so wie wir jeden Morgen aus dem nächtlichen Traum erwachen und sich dieser meist unmittelbar danach aufzulösen beginnt, die Erinnerungen an ihn verblassen, bis er schließlich gänzlich verschwindet, so widerfährt es auch unserem mayischen „Tagtraum“, den wir „Realität“ nennen, wenn wir aus diesem erwachen im kontemplativen Enthüllen bzw. Erkennen, wer wir in unserem Wesen wirklich sind. Alles, was wir hierzu brauchen, ist die Gnade eines Momentums aufrichtiger „Pünktlichkeit“. Pünktlichkeit im Geiste ist eine spirituelle Tugend, die ausgebildet werden möchte. Unpünktlichkeit im Geiste belastet uns mit der Schwere des Zu-früh- oder Zu-spät-seins. Denn sind wir zu früh, hängen unsere Gedanken hoffnungs- bzw. sorgenvoll in der Zukunft in ungewisser Erwartung des Geschehens, das noch kommen wird. Sind wir hingegen im Geiste zu spät, kleben wir an den Erinnerungen des Vergangenen, an möglicherweise Versäumtem sowie an gewesenen freudvollen und leidvollen Handlungen bzw. Erfahrungen. Sinne und Verstand sind dadurch immer latent in Bewegung, was uns betäubt und zerstreut, und uns immer weiter in den Webfaden der Maya verstrickt. All dies verhindert das Lüften der mayischen Schleier der Täuschung, das Durchstechen derselben, um auf den „wahren Punkt“ zu kommen, der das Sterben aus dem Traumspiel der Maya und das Wiedererwachen und Auferstehen aus dem Urgrund des Seins bedeutet. Dem Sein sind die Wellentäler von Freud und Leid, von Richtig und Falsch gänzlich unbekannt.
Im Zurückziehen und Bündeln unseres Bewusstseinsstrahls auf einen Punkt hin, auf einen „Dot“ wie man im Englischen sagt, offenbart sich hingegen sogleich der „Tod“ der mayischen Sinneswelt, und die durch Gedanken projizierten Schleier der Welt ziehen sich zurück, als ob es sie nie gegeben hätte. „Wie Feuer ohne Brennholz im Herd erlischt, so erlischt der Geist in seinem Ursprung, wenn die Unruhe des Denkens aufhört.“ (Maitri-Upanishad)
Dies ist der einzige mir bekannte Weg, um den Kampfmodus der Dualität zu verlassen, den karmischen Teufelskreislauf des Samsara aufzulösen, und die konfliktbeladene menschliche Existenz zu heilen.
Wenn wir alle Jahre wieder um den Zeitpunkt der Wintersonnwende das Stillefest der Weihnacht begehen, bietet sich uns im Besonderen die Möglichkeit, das Erlöschen des mayischen Feuers in der Tiefe unserer Seele zu erleben. Im Wintersonnwendepunkt stirbt das Licht des Weltlichen, um als inneres Atman-Licht, als Christuslicht neu geboren zu werden. Nun vermag der Mensch sein atmisches Wesen in reiner, unverhüllter Essenz zu schauen. Die vormals dornige Krone materiell weltlicher Ambitionen jedweder Couleur, die unsere Welt so leidvoll in Allmachtsfantasten und Ohnmachtsfantasten spaltet, verwandelt sich hier in einen Kranz ewigen Lichts, gespeist aus dem Bewusstseinsstrom des „Einen Herzens“ (Hrdaya). Dieses erscheint uns gegenwärtig bis zur Unkenntlichkeit entstellt in schauriger Gestalt als „Cor-ona“, doch pulsiert in seinem Innersten immerzu „Core-one“, das lebendige „Eine Herz“ als ewige Wohnstatt Gottes (Hrdayanivasa).
Dies offenbart sich uns, wenn wir bereit sind, das, was ist, bedingungslos anzunehmen, ohne – mit welchen Mitteln auch immer – dagegen anzukämpfen. Vertrauen wir geduldig dieser Kraft, werden sich die trennenden, düsteren und schmerzvollen Schleier wie von alleine auflösen und so das Allerinnerste enthüllen.