Wie sehr interessieren sich Yogaschüler für anatomische Aspekte? Welche Erfahrungen haben sie mit diesem Thema gemacht? Antworten geben unsere Kurzinterviews.
Nachdem wir von Yogalehrern erfahren haben, welche Bedeutung sie der anatomischen Dimension im Hatha-Yoga beimessen, möchten wir natürlich auch die Perspektive der Schüler hinzufügen. Die von uns befragten Yogis und Yoginis erklären, warum sie auf einen anatomisch geschulten Lehrer Wert legen und inwiefern sie selbst für die Materie aufgeschlossen sind.
Wie wichtig finden Sie, dass Ihr Yogalehrer über grundlegende Anatomiekenntnisse verfügt?
Maren Brand: Mir ist es sehr wichtig, dass mein Yogalehrer über grundlegende Anatomiekenntnisse verfügt, weil ich mich am Anfang meiner Yogapraxis direkt am Meniskus verletzt habe (da kannte ich meine eigenen körperlichen Grenzen noch nicht so gut wie heute!). Gerade wenn man mit Yoga beginnt, muss der Schüler darauf vertrauen können, dass der Yogalehrer seine Yogastunden gut aufeinander aufbaut, dass man wirklich warm ist, bevor man in anspruchsvollere Positionen geht, dass der Lehrer auf die Ausrichtung des Schülers achtet und dass sich der Lehrer mit anatomischen Grundlagen auskennt.
Margit Karmann: Ich finde das sehr wichtig. Dadurch kann meine Yogalehrerin die Anleitungen sehr detailliert machen. Es fällt mir als Schülerin viel leichter, neue Variationen zu erlernen, wenn die Ansagen exakt anatomisch erklärt werden. Darüber hinaus erlebe ich durch gezielte Hinweise auf anatomische Details Asanas, die ich schon jahrelang übe und die mir eigentlich vertraut sind, oft anders und wieder neu. Ein fundiertes Wissen über die Anatomie ist meiner Meinung nach auch eine sehr wichtigste Voraussetzungen dafür, Fehler der Schüler beim Ausführen der Asanas zu erkennen und zu korrigieren.
Lukas Jenker: Da ich für mich Ashtanga-Yoga gewählt habe, halte ich gute Anatomiekenntnisse für absolut wesentlich. Das gilt auch für andere Yoga-Richtungen, allerdings glaube ich, dass besonders die dynamische und intensive Ashtanga-Praxis sehr schnell zu Verletzungen führt, wenn sie falsch geübt wird.
Andrea Arden: Ich finde das wichtig, da er dann bei den Ausführungen der Übungen darauf achten kann, dass bestimmte Körperteile sinnvoll belastet werden.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Lehrer mit körperlichen Beschwerden von Ihnen oder anderen Teilnehmern gut umgehen kann?
Maren Brand: Ja! Auf jeden Fall.
Margit Karmann: Ich besuche Yogakurse bei verschiedenen Lehrern und habe das unterschiedlich erlebt. Es hängt meiner Erfahrung nach von der Größe der Yogaklasse und vom „Yogalehrertyp“ ab, ob und wieweit er oder sie auf unterschiedliche körperliche Möglichkeiten und auch Beschwerden Einzelner wirklich gut eingehen kann. „Power“-Yogalehrertypen tendieren schon leichter dazu, die Schüler in ihren körperlichen Möglichkeiten zu überfordern. Am liebsten mag ich einen Unterricht, in dem viel Wert auf Spürgenauigkeit und die Achtsamkeit der eigenen Grenzen gelegt wird.
Lukas Jenker: Insgesamt ja. Allerdings habe ich im Laufe der Jahre festgestellt, dass speziell Ashtanga-Yogalehrer dazu neigen, eher zu viel als zu wenig von ihren Schülern zu wollen. Das ändert sich erst seit Kurzem ein wenig.
Andrea Arden: Ja, meine Lehrerin achtet darauf, dass bestimmte Übungen dann gar nicht oder in einer anderen Art und Weise gemacht werden.
Kennen Sie Ihre eigenen körperlichen Grenzen, oder vertrauen Sie auf das Anatomiewissen Ihres Yogalehrers und darauf, dass er Ihnen sagt, wo Sie aufpassen müssen?
Maren Brand: Ja, ich habe gelernt, auf meine körperlichen Grenzen zu vertrauen, und kann gut auf meinen Körper hören. Ich weiß genau, wann für mich etwas zu viel ist, ob ich lieber einmal eine Pause in Balasana einlege und wie ich in jeder Position auf mich achten kann (z.B. wann ich lieber Hilfsmittel verwende etc.). Trotzdem finde ich es wichtig, dass mein Lehrer bewusst auf die Ausrichtung in seinem Unterricht achtet.
Margit Karmann: Als Yoga-Anfängerin vor vielen Jahren war ich sehr darauf angewiesen, dass mich meine Lehrerin sorgfältig auf korrekte Ausführung und mögliche Fehler hingewiesen hat. Ich glaube, ich kenne meine Grenzen inzwischen selber recht genau. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis der Yogapraxis. Es gab und gibt immer wieder auch Situationen, in denen mich meine Yogalehrerin bei anspruchvollen Asanas entscheidend weitergebracht hat, durch klare Ansagen, gezielte anatomische Tipps und auch durch Mutmachen. Nicht zuletzt habe ich so z.B. den Kopfstand gelernt. Da war mein Vertrauen in die fundierten Fähigkeiten dieser Yogalehrerin entscheidend dafür, dass ich mich getraut habe. Aber insgesamt sollte man die Entscheidung und Verantwortung nicht zu oft an den Yogalehrer abgeben, sondern Hauptziel ist und bleibt für mich, selber spüren zu lernen.
Lukas Jenker: Um Fortschritte in der Praxis zu erzielen, ist eine Gratwanderung notwendig im schmalen Bereich jenseits der körperlichen Komfortzone, aber diesseits der physischen Überforderung. Ein guter Yogalehrer bringt dich aus deiner Komfortzone heraus, ohne deine Gelenke und Muskeln zu überlasten. Allerdings sollte ein Schüler bewusst üben und deshalb auch seine Grenzen selbst gut kennen. Ich vertraue auf das Anatomiewissen meiner Lehrer, setze aber auch selbst Grenzen, wenn ich das Gefühl habe, dass es zu viel wird.
Andrea Arden: Ich kenne meine eigenen Grenzen, und falls ich selber das Gefühl habe, eine Übung ist nicht gut für meinen Körper, spreche ich das an und mache die Übung dann anders oder ersetze sie durch eine andere Übung – in Abstimmung mit dem Yogalehrer.
Wie hat sich dadurch, dass Sie durch Yoga viel über die eigene Anatomie erfahren haben, Ihr Verhältnis zu Ihrem Körper verändert?
Maren Brand: Das Wissen über Anatomie hilft mir, die Asanas an sich besser zu verstehen. Gleichzeitig hilft mir das anatomische Wissen auch im Alltag, mich bewusster und gesünder durch den Tag zu bewegen.
Margit Karmann: Ich spüre kleine Veränderungen, wie z.B. Verspannungen, viel früher und kann sie durch Yoga dann meistens auch ganz gezielt auflösen. Das ist super! Ich habe durch Yoga sehr gut gelernt, was genau meinem Körper, so wie er nun mal ist, leichtfällt und was nicht, und kann diese Grenzen nach vielen Jahren Yoga auch viel leichter respektieren als früher. Darüber hinaus habe ich aber durch Yoga gleichzeitig intensiv erfahren, dass der Mensch so viel mehr als nur Anatomie ist: welchen Einfluss zum Beispiel die innere Haltung und gute Gedanken auf das Körpergefühl und auch auf die Ausführung der Asanas haben. Die Anatomie ist nur eine der Grundlagen für Yoga.
Lukas Jenker: Auch nach sechs Jahren intensiver Praxis entdecke ich noch immer neue Ecken an und in meinem Körper. Ich bin dann immer ganz erstaunt, was mit stetigem Üben alles möglich ist. Am Anfang war ich mir sicher, niemals den Kopfstand hinzubekommen, nach vier Jahren hat es aber doch geklappt. Ich nehme meinen Körper viel bewusster wahr und habe vor allem gelernt, dass Haltungsfehler wie Rundrücken, hängende Schultern oder gesenkte Füße kein Schicksal sind, sondern korrigiert werden können.
Die verkörperte Anatomie des Body-Mind Centerings®
Body-Mind Centering ist eine aus den USA stammende Körper- und Bewegungsarbeit, die alle Körpersysteme – so neben Muskeln und Knochen z.B. auch Organe, Drüsen und Nervensystem – einbezieht (vgl. Artikel von Anna Trökes aus YOGA AKTUELL Heft 62). Body-Mind Centering wird auch als „embodied anatomy“ bezeichnet. BMC-Ausbilder Jens Johannsen, der langjährige Erfahrungen mit der interessanten Methode hat, beschreibt diese für unser Dossier kompakt und prägnant:
An der Wurzel der Erforschung des eigenen Seins durch den Leib liegt im BMC® die Erfahrung des zellulären Bewusstseins. Jede Zelle unseres Körpers hat ein Gewahrsein ihrer selbst. Dieses ist entwicklungsgeschichtlich die Grundlage des Bewusstseins des Nervensystems. Die Bewegungsentwicklung beginnt lange bevor es um Körperbewegung oder Fortbewegung geht.
Im Body-Mind Centering® erfahren wir unsere Gewebe, ihre Funktionen und ihren Werdegang, erschließen uns Stück für Stück die Einzelheiten dieses komplexen und kostbaren Tempels. Mit den Mitteln der Körperreisen, Bewegungserforschung, Berührung und des intellektuellen Austauschs bereisen wir immer kleinere Regionen, bis zu subzellulären Bausteinen. In feiner Körperarbeit werden die Gewebe differenziert und integriert. Unterschiedliche Bewegungsqualitäten von Knochen, Muskeln, Drüsen, Flüssigkeiten usw. werden erlebt. Prioritäten und Herausforderungen werden sichtbar und als Möglichkeiten erkennbar, die auch geändert werden können. Feinste physiologische Vorgänge werden mit raumgreifenden Bewegungen integriert. Bewegungsqualitäten werden unterscheidbar, persönliche Präferenzen sichtbar, Lösungen für Problemstellungen liegen im Gebrauch bereit. BMC® ist eine liebevolle Praxis bewussten Lebens, in deren Rahmen der wertvolle Menschenkörper in allen seinen Aspekten erschlossen wird und alle Stimmungen und Qualitäten der verschiedenen Zentren und Funktionsaspekte in das Gesamtbild integriert werden. BMC® ist therapeutische Arbeit, weil undurchlässige Strukturen und ihre Zusammenhänge für die Persönlichkeit integriert werden. Anwendungsfelder finden sich in allen Therapieformen, in Tanz, Theater, Yoga, Sport, in der Arbeit mit Entwicklungsstörungen und vielem mehr.
Body-Mind Centering® wurde von Bonnie Bainbridge Cohen seit den 1970er Jahren entwickelt. Die Entwicklung schreitet immer noch voran. In den letzten Jahren ist ein detailgenaues Erfahren der menschlichen Embryologie hinzugekommen. Die Metamorphose des Körpers und seiner Anteile birgt eine unvergleichliche Schönheit und Komplexität in sich.
Infos
Jens Johannsen, Tänzer und Bewegungstherapeut, ist seit 1989 Practitioner und seit 1992 Teacher und Ausbilder in dieser Arbeit. Er hat lange Jahre Fortbildungen geleitet. Seit 2003 ist er leitend an weltweiten Ausbildungen beteiligt.
Die BMC®-Ausbildungen in Deutschland werden von moveus organisiert. Im Juni und November finden in Potsdam die ersten Bausteine der neuen Ausbildung statt, die später in der Eifel weitergeführt wird. Eine Embodied-Anatomy- und Yoga-Ausbildung endet dieses Jahr in Potsdam, mit Seminaren im April / Mai und im Oktober. Weitere Informationen, Links zu anderen Zentren und zur BMC®-Assoziation finden Sie unter www.moveus.de.
- Andrea Arden, 51 Jahre, Versicherungsfachwirtin aus Geldern
- Maren Brand, 31 Jahre, Verlagsmitarbeiterin aus Bielefeld
- Lukas Jenker, 40 Jahre, Redakteur aus Stuttgart
- Margit Karmann, 40 Jahre, Dipl.-Pflegepädagogin aus Augsburg