Die Coronakrise hat uns alle auf uns selbst zurückgeworfen. Das hatte viele Nachteile, aber auch viele Vorteile. Einer dieser Vorteile bestand für mich darin, endlich mal wieder an einem Satsang bei Pyar teilnehmen zu können. Diese Retreats halfen mir, meinen Geist wieder nach Hause zurückzubringen. Eine wichtige Erfahrung, besonders in einer Zeit, die uns so schnell wegbringt von uns selbst. Pyar beschreibt in diesem Interview, wie es ihr selbst mit der Pandemie erging.
Interview
YOGA AKTUELL: Wie ist es dir persönlich mit der Coronakrise ergangen?

Pyar: Für mich war und ist es ein Prozess mit vielen schmerzlichen Aspekten aber auch schönen Entdeckungen und interessanten Beobachtungen. Voranschicken möchte ich, dass ich als Mensch und als Ärztin die bisher durchgeführten Maßnahmen unserer Regierung für sinnvoll und richtig halte. Die schmerzlichen Aspekte dieser Krise für mein Leben sind die persönlichen Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit und ein enormer Stress und hoher Arbeitsaufwand durch die Umstellung meines Angebotes an Meditationsseminaren auf Online-Formate. Wirtschaftliche Sorgen kommen natürlich hinzu. Sehr fehlt mir der direkte und manchmal auch körperliche Kontakt mit meinen Schülern und Freunden.
Zu den schönen Entdeckungen: Da ich normalerweise viel auf Reisen bin, empfinde ich es als großes Geschenk, in diesem Frühjahr die Entwicklung der Natur in unserem Garten ohne Lücken mitverfolgen zu dürfen. In der Beschränkung des Bewegungsradius entdeckte ich eine größere Tiefe, Freude und Genauigkeit in der Wahrnehmung so vieler Details der Landschaft in unserer Gegend.
Sehr interessant fand ich in meinem eigenen Geist die Beobachtung, wie schwer der Geist sich tut, eine so gravierende Veränderung der Lebensumstände mitsamt all ihren Unwägbarkeiten zu erfassen. Es ist ja auch für unseren Geist völlig neu! So hatte ich anfangs sehr oft den Eindruck, ich müsse nur blinzeln, würde dann aufwachen und mir denken „was für ein eigenartiger Traum.“
Wie bist du mit schwierigen Emotionen wie Wut, Angst, Unsicherheit etc. umgegangen?
Ja, im inneren Umgang mit dieser Krise hatte und habe ich immer wieder mal all diese von dir angesprochenen Emotionen. Mein Umgang damit ist immer derselbe: Weder unterdrücke ich das Gefühl noch unterstütze ich es, sondern ich fühle es, bleibe dabei aber soweit irgend möglich im Gewahrsein der Unendlichkeit des Raumes. So wird dem Gefühl Genüge getan, ohne es zu rechtfertigen oder abzulehnen. Zugleich erkenne ich dann wieder und wieder die Vergänglichkeit aller Gefühle und vor allem die Tatsache, dass kein Gefühl jemals den Raum ausfüllt und dass alle Gefühle in der Weite des Herzens Platz finden und immer noch Platz bleibt.
Wie war die Erfahrung für dich, online zu unterrichten?
Sehr ungewohnt! Ich habe bis vor drei Monaten Online-Übermittlung weitgehend abgelehnt. Und tatsächlich ist diese Form sehr anstrengend und viele Komponenten fehlen, und von unseren Sinnesorganen können nur die Augen und Ohren eingesetzt werden. Zugleich stelle ich jetzt fest, dass Übermittlung von Essenz auch durch Glasfaserkabel möglich ist! Und darüber bin ich und sind meine Schüler sehr, sehr froh!
Was für ein Gefühl hast du hinsichtlich der momentanen Situation, wenn du unsere Gesellschaft betrachtest?
Das hat viele Aspekte. Es gibt eine große Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt zwischen Menschen. Nachbarn, die man vielleicht bisher kaum beachtete helfen einander und sprechen miteinander. Das ist wunderbar. Viele Menschen entdecken derzeit auch den Segen der Einfachheit. Wir entdecken, dass man weniger reisen muss, weniger konsumieren muss, um glücklich zu sein. Das ist wunderbar.
Gleichzeitig beobachte ich in den letzten Wochen eine starke Polarisierung in unserer Gesellschaft, die mir Sorgen bereitet. Diese Polarisierung geht bis in Freundschaften und auch Familien hinein.
Ich beobachte auch, dass diese ungewohnte Tatsache, dass wir mit einer Bedrohung zu tun zu haben, die nicht sofort beherrschbar ist und die auch Zeit braucht, um gründlich wissenschaftlich untersucht zu werden, im menschlichen Geist teilweise eigenartige Reaktionen hervorruft. Da es so schwer ist, im Nicht-Wissen zu bleiben, und der Geist dann verzweifelt nach Erklärungen und Sicherheiten sucht, wird er anfällig für dubiose Erklärungsmodelle und Mythen, die dann selbst zu einem Virus werden können. Besonders besorgt mich, dass manche dieser Mythen (zum Beispiel „irgend ein angeblich böser Mensch oder eine angeblich böse Gruppe will die Weltherrschaft, will uns unterjochen, …“) mich fatal an ähnliche Mythen in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts zu Beginn der Nazi-Diktatur erinnern.
Was würde uns als Gesellschaft deiner Ansicht nach helfen, um als Gemeinschaft gestärkt aus der Krise herauszugehen?
1. Die Erfahrung von Zusammenhalt und gegenseitiger Rücksichtnahme. 2. Die Fähigkeit, immer dann, wenn man noch nicht wirklich wissen kann, tatsächlich im Nicht-Wissen zu bleiben. 3. Achtsamkeit. 4. Mitgefühl 5. Die Erkenntnis, dass wir auch mit weniger zufrieden und glücklich sein können 6. Punkt eins bis fünf nicht zu vergessen, wenn die Krise irgendwann vorbei ist!
Ich hatte das Glück, in dieser Zeit an zwei Retreats von dir teilnehmen zu können. Sie haben mich gerettet. Danke dafür! Es gab sicher noch andere Menschen, die du wieder in ihre Mitte bringen konntest, waren es viele? Und was waren die Hauptthemen? Kannst du übergreifend einige Themen nennen?
Das hoffe ich doch sicher, dass auch noch andere Menschen in diesen Retreats in ihre Mitte zurückfanden. Ich denke, es waren einige Themen. Die Hauptthemen, die im Moment Menschen aus ihrer Mitte reißen, sind natürlich Einsamkeit, Sorgen, mangelnder körperlicher Kontakt, aber gerade in den letzten Wochen auch die bereits erwähnte Polarisierung. Die meisten Menschen stehen hinter den Maßnahmen der Regierung, viele gehen sogar die jetzt stattfindenden Lockerungen zu schnell. Auf der anderen Seite gibt es eine kleinere Gruppe von Menschen, die sehr lautstark und durchdringend und sehr emotional ihre Oppositionshaltung verbreiten. Ich finde es sehr wichtig, dass unser demokratisches Selbstverständnis und Verhalten sich auch jetzt und besonders jetzt in Diskussion und auch der Möglichkeit anderer Meinung zu sein, äußert! Traurig finde ich es jedoch, wenn daran alte Freundschaften zerbrechen, und bedenklich, sobald Unsachlichkeit, Unwissenschaftlichkeit, Mythen oder gar bräunlich gefärbte Tendenzen die Oberhand gewinnen.
Du hast die Meditation in 3 Fraktionen unterteilt. Welche waren das?
Offenes Gewahrsein, Fokussierung und Mitgefühlsmeditation.
Mit welcher von ihnen arbeitest du persönlich besonders gerne?
Mit allen!
Kannst du uns eine kleine Übungsanleitung von einer dieser drei Meditationen mit auf den Weg geben?
Offenes Gewahrsein: Es ist, als ob du entspannt an einem Teich sitzt. Der Teich steht in diesem Bild für deinen Geist. Die Fische im Teich stehen für die Inhalte deines Geistes – seien es Gedanken oder Emotionen. Du sitzt am Ufer des Teiches, ohne dich auf etwas zu konzentrieren, und beobachtest mit freundlichem Gewahrsein, was auch immer geschieht. Manchmal ist die Oberfläche des Teiches ganz ruhig, manchmal kommen Fische an die Oberfläche, manche Fische sind schön und friedlich, manche sind bunt, manche sind auch Raubfische. Manchmal erscheint ein Tier am Ufer und spiegelt sich im Teich. Wichtig dabei ist, dass bei der Übung des offenen Gewahrseins alle diese Erscheinungen gleichwertig sind! Unbewegtes Wasser schöne Fische, gute Fische, böse Fische, Rehe – was auch immer! Du bleibst im Gewahrsein. Wenn das gut gelingt, kannst du als Krönung dieser Übung des offenen Gewahrseins versuchen, dich diesem Gewahrsein selbst zuzuwenden und zu erkennen, wie weit es ist und wie klar!
Herzlichen Dank!
Weitere Informationen zu Pyar: www.pyar.de