Sukadev V. Bretz, Gründer von Yoga Vidya e.V., schrieb ein Buch über die Erweckung der Kundalini. In YOGA AKTUELL erklärt er, woran man echte Kundalini-Erfahrungen erkennen kann, wie sie sich von anderen Energie-Erfahrungen unterscheiden und wie man einen guten Umgang mit ihnen findet
YOGA AKTUELL: Der Begriff „Kundalini-Energie“ wird oft leichfertig benutzt und nicht immer vollständig verstanden. Was ist die Kundalini-Energie?
Sukadev V. Bretz: Man unterscheidet im Yoga zwischen Prana und Kundalini. Prana ist die Lebensenergie, welche hinter allen Lebensprozessen steckt. Bewegung, Blutkreislauf, Atmung, Verdauung, Nervensystem, Ausscheidung, Fortpflanzung – alles wird gesteuert durch den Prana. Wenn zu wenig Prana da ist oder der Fluss des Prana gestört ist, kann es zu Krankheiten kommen. Umgekehrt kann man durch Prana-Arbeit viele Krankheiten heilen. Prana kann aufgespeichert werden in den Chakras, wobei dem Sonnengeflecht eine besondere Bedeutung zukommt. Ein Mensch mit viel Prana hat eine starke Ausstrahlung. Das, was als Charisma bezeichnet wird, ist letztlich Prana. Ein guter Yogalehrer ist in der Lage, Prana auszustrahlen und bewusst oder unbewusst auf seine Teilnehmer zu übertragen. Menschen in heilenden Berufen nutzen häufig diese Fähigkeit, Prana auszustrahlen. Prana kann erhöht werden durch sattvische (reine) Ernährung und bewussten Atem. Besonders sind natürlich alle Yoga-Übungen dazu da, den Prana-Level zu erhöhen und Prana zum Fließen zu bringen.
Asanas, Pranayama, Tiefenentspannung, Mantra-Singen und Meditation – alles hilft, Prana anzusammeln. Während Prana gut beschrieben und definiert werden kann, ist das mit Kundalini nicht so einfach. Swami Sivananda hat Prana als „kinetische Energie“ und Kundalini als „statische Energie“ bezeichnet. Mein Meister, Swami Vishnudevananda, nahm gerne das Atom als Analogie: Ein Atom besteht aus dem Atomkern und den um ihn kreisenden Elektronen. Für normale Energie-Phänomene wie Elektrizität, Hitze, Kälte, Verbindung von Atomen zu Molekülen etc. sind die Elektronen verantwortlich. Jedoch ist im Atomkern ein Vielfaches der Energie der Elektronen vorhanden. Der Atomkern bestimmt, welches Element das Atom ist. Der Atomkern bestimmt letztlich auch, wie viele Elektronen ein Atom haben kann. So ist es auch mit Kundalini: Die Aktivität der Kundalini bestimmt letztlich die Ebene der Bewusstheit. Ist die Kundalini hauptsächlich aktiv auf der Muladhara-Ebene (also der Ebene des ersten Chakras), ist der Mensch sehr materialistisch interessiert. Erst wenn die Kundalini auch auf anderen Ebenen wirkt, hat der Mensch tatsächlich Erfahrungen auf […]