Rick Hanson zählt zu den bekanntesten Neuropsychologen der Welt. Mit seinem Buch „Das Gehirn eines Buddha“ schaffte er es, die Meditation salonfähiger zu machen. Er zeigte darin auf, wie sehr sich unser Gehirn und unser Geist gegenseitig beeinflussen und wie wichtig es ist, uns dem Guten in uns zuzuwenden, damit wir tiefen inneren Frieden erfahren. YOGA AKTUELL traf den Experten für Neuroplastizität und führte am Rande eines Workshops ein Interview mit ihm.
Interview
YOGA AKTUELL: 2010 ist dein Buch „Das Gehirn eines Buddha“ in deutscher Sprache erschienen. In der Zwischenzeit gab es viele neue Erkenntnisse in Punkto Neuroplastizität. Welche waren das?
Rick Hanson: Es haben sich neue Methoden entwickelt, die sich mit der Auflösung von Traumata und „alten Schmerzen“ beschäftigen. Bestimmte Faktoren, die die Lern- oder Wachstumskurve steiler werden lassen, haben Anerkennung erlebt. Beispielsweise die Verspieltheit, deren Aktivität neurotrophe Faktoren im Gehirn erfordert. Aber die Grundidee, die ich in meinem Buch „Das Gehirn eines Buddha“ beschreibe, lautet: „Neuronen, die gemeinsam aktiv werden, verbinden sich leichter“. Daher können wir bewusst bestimmte Erfahrungen stimulieren. In diesem Stimulierungsprozess können sich die neuronalen Substrate dieser Erfahrungen verstärken.
Du sprichst über „Verspieltheit“ bei der Selbsterforschung. Was mache ich aber, wenn ich von Natur aus eher eine ernste Person bin? Da ist es gar nicht so leicht, verspielt ans Leben ranzugehen.
Es gibt viele Wege, um dein Gehirn zu verbessern. Verspieltheit ist nur ein Weg, um neurotrophe Faktoren zu fördern, die es dem Gehirn ermöglichen, in einem höheren Grad von neuen Erfahrungen zu profitieren. Auch wenn eine Person von Natur aus sehr ernst und steif ist, gibt es immer andere Wege, um diese Faktoren zu aktivieren. Man kann versuchen, Veränderungen und Neuerungen während einer Erfahrung zu erkennen. Man kann sich darauf fokussieren, was an einer neuen Erfahrung lohnenswert und bereichernd ist. Auch wenn die Person selbst sehr ernst ist, kann wenigstens die Erfahrung sehr freudig und unterhaltsam sein. Wenn uns bewusst ist, was an einer Erfahrung lohnenswert und bereichernd ist, dann erhöht das die Aktivität von Dopamin und Adrenalin, was wiederum auf natürliche Weise die Verankerung einer Erinnerung in unserem Langzeitgedächtnis positiv beeinflusst.
Du sagst, wir sollen immer das Gute sehen. Wir sind hier in einem Land, in dem wir sicher sind und es den meisten gut geht. Gleichzeitig wirken viele Menschen unzufrieden. Es ist schon traurig, dass du extra aus Amerika kommen musst, um uns daran zu erinnern, bzw. uns beizubringen, das Gute zu sehen.
Ja, das ist wirklich merkwürdig. Viele Menschen, die in weniger fortschrittlichen und ärmeren Ländern leben, fühlen mehr inneren Frieden, als Menschen in reichen und fortschrittlichen Ländern. Das ist wirklich ein Kritikpunkt. Wir, in sogenannten zivilisierten Gesellschaften, streben stets nach guten und positiven Erfahrungen in der Zukunft, was uns sehr weit davon entfernt, die authentische und positive Erfahrung wahrzunehmen, die wir aktuell bereits erleben.
Wie erklärst du dir, dass Menschen in Entwicklungsländern häufig mehr inneren Frieden empfinden?
Ich würde sagen, dass Menschen dort viel dankbarer sind und auch eine andere und intensivere Form der sozialen Unterstützung erleben. Außerdem kann in reicheren Gesellschaften die Entwicklung der Schnelligkeit beobachtet werden. Es führt dazu, dass wir uns von der Gegenwart entfernen. Zudem führt es eine chronische Überaktivität des sympathischen Nervensystems herbei. Das kann zwar Spaß machen, aber es ist einfach zu viel. Es ist eine Stunde lang spaßig, aber über einen Tag verteilt, ist es nur erschöpfend. Außerdem bin ich der Meinung, dass wir in der modernen Welt auch an einer ständigen Überaktivität des Dopamin-Systems leiden. Es folgt eine Reizung auf die nächste: eine Szene im Fernsehen, ein Tweet auf Twitter, ein Post auf Facebook, selbst ein Spaziergang durch eine Straße. Das ist kaum vorstellbar für einen Jäger oder Sammler in einem ärmeren Land. Wir sind einer ständigen Überaktivität des Dopamin-Systems ausgesetzt. Wir sind quasi süchtig danach. Noch eine weitere Sache zum modernen Leben: Über die Medien sind wir einer ständigen Flut von schlechten Nachrichten ausgesetzt, was dazu führt, dass wir uns kaum aus einem Alarm- oder Bedrohungszustand hinausbewegen.
Wir brauchen also alle viel mehr Zeit, oder?
Zeit und Absicht. Denn viele Menschen bemühen sich auch im Urlaub nicht, die Dinge langsamer anzugehen, sondern machen einfach gleich weiter. Und ich möchte noch einen weiteren Punkt hinzufügen: Es ist wirklich wichtig, sich Dinge zu suchen, für die man dankbar ist. Man sollte die Geschwindigkeit runterfahren und die wahren Schätze des Lebens genießen. Mein Hauptziel ist es, zu wachsen. Meine innere Stärke wachsen zu lassen, meine Ressourcen aufzubauen, mentale und psychologische Ressourcen zu schaffen, um Dinge verarbeiten und Glück und Freude empfinden zu können. Ich erlebe häufig, dass Menschen meinen Ansatz klein machen oder ihn trivialisieren. ‚Ach, riech doch einfach an den Blumen’. ‚Genieße den Anblick eines Regenbogens’. Das ist gut. Aber ich gehe die Sache von hinten an: Wir sind konfrontiert mit Herausforderungen, wie Naturkatastrophen, Tod, physischen Schmerzen, Konflikten mit anderen Personen und Enttäuschungen. All das erleben wir fast jeden Tag. Um damit umgehen zu können, brauchen wir psychologische Ressourcen. Jedoch beschäftigt sich kaum jemand damit, wie wir diese Ressourcen aufbauen. Meiner Meinung nach ist das verrückt. Wir können Erfahrungen in zwei Schritten für uns nutzen: Indem wir sie erleben und indem wir sie in unserem Bewusstsein festigen. Auf Letzterem liegt mein hauptsächlicher Fokus. Hier werden ganz andere Qualitäten sichtbar, wie Stärke und Respekt für die eigentlichen Probleme und Herausforderungen. Es kommt immer darauf an, wie diese Verfahren kommuniziert werden. Bestehen sie nur aus „California-Lifestyle“, locker flockig und genießerisch, wo wir alle nur die Schlagsahne des Lebens genießen oder bestehen sie, wie für mich, auf einem sehr altmodischen Fokus, der sich auf das Wachstum von innerer Stärke konzentriert. Ich habe meine Herangehensweise bereits so vielen intelligenten Menschen erklärt. Sie nicken, sie denken nach, schauen aus dem Fenster und sagen dann: „Ja, du hast Recht, ich muss dankbarer sein.“ Das ist nicht falsch, aber hauptsächlich geht es darum, uns selbst vorzubereiten, um Themen zu verarbeiten und so heilen und andere Menschen beschützen zu können. Es ist nicht nur eine neue Form des genussvollen Lebens im 21. Jahrhundert.
Und, was ist da die richtige Lösung?
Schaut man sich die Magazine an, in denen es um Achtsamkeit geht, dann sind immer alle glücklich. Und das ist gut. Doch die großen Lehrer, wie Buddha, zeigen auch die Realität mit auf. Man muss die Realität als ein Ganzes sehen, wie ein Mosaik, das aus vielen Facetten besteht. Unser Gehirn fokussiert immer auf die negativen Aspekte. Wir müssen unserem Gehirn nun beibringen, sich auf die vorteilhaften Dinge zu konzentrieren. Das ist der Weg, um innere Ressourcen aufzubauen. Man sollte immer nach Möglichkeiten suchen, freudige und bereichernde Erfahrungen zu machen und diese dann wahrnehmen. Das hat zwei Gründe: Erstens können so die Tendenzen des Gehirns, nur die roten und negativen Stellen des Mosaiks zu sehen, ausgeglichen werden. Und zweitens bringt man so den Prozess in Gang, innere Ressourcen aufzubauen.
Wir haben gestern eine Übung gemacht, in der du gesagt hast: „Euch geht es gut.“ Und in diesem Moment habe ich mich wirklich gut gefühlt. Und dann sollten wir an etwas Negatives denken. Es fiel mir dann wirklich schwer, etwas zu finden. Und es ging vielen anderen Teilnehmern ebenso. Doch ich habe das Gefühl, dass die Medien und die Unternehmen gar nicht wollen, dass ich mich sicher und befriedigt fühle.
Da hast du absolut Recht. Die Übung, sich auf das Gute zu konzentrieren, ist in mancherlei Hinsicht politisch sehr radikal. Ich sage mir selbst, ich lasse mich nicht mehr so leicht manipulieren. Es ist unglaublich, wie stark wir von externen Quellen beeinflusst werden. Ebenso werden wir gelenkt, bestimmte Gruppen abzulehnen. Da gehen die persönlichen und politischen Aspekte Hand in Hand. Aber ich bin ein Psychologe, weshalb ich mich eher auf die persönlichen Aspekte konzentriere. Aber als Bürger erlebe ich genau die gleichen Erfahrungen. Wenn man in etwas sehr gut werden möchte, dann sollte man die Menschen beobachten, die bereits gut in dieser Sache sind. Wenn man also gut leben möchte, dann sollte man die Menschen studieren, die gut gelebt haben. Die Heiligen, die Weisen der Vergangenheit und der heutigen Zeit. Eine Sache wird in der buddhistischen Tradition, aber auch in anderen Weisheiten, stark verdeutlicht: Eine Sache zu genießen, ohne danach süchtig zu werden. Darüber hinaus auch, sich selbst mit einem Thema oder Konflikt zu konfrontieren, ohne gleich damit in den Krieg zu ziehen sowie sich mit anderen Menschen zu verbinden, ohne sich von ihnen abhängig zu machen.
Herzlichen Dank für das Interview!
Zum Weiterlesen:
Das Gehirn eines Buddha (Arbor Verlag)
Infos zu Rick Hanson