Der Philosoph Christoph Quarch schrieb ein Buch über erotische Spiritualität. Mit YOGA AKTUELL sprach er darüber, warum Erotik und spirituelle Praxis kein Widerspruch sind und wie eine liebende Hingabe zu Gott und der Welt kultiviert werden kann
Auf den ersten Eindruck hat Erotik nicht viel mit Leidenschaft zu tun. Vorbehaltlos betrachtet gehören diese beiden Aspekte hingegen unauflöslich zusammen. Diese Erfahrung machten zumindest die großen Mystiker Dschalaleddin Rumi und Mechthild von Magdeburg, die vor rund 800 Jahren eine hingebungsvolle Liebe für Gott empfanden. Wie essenziell eine solch leidenschaftliche Hingabe auf dem spirituellen Weg eines Menschen ist, weiß auch der deutsche Philosoph Christoph Quarch zu berichten. In seinem neusten Buch „Die Erotik des Betens“ setzt er sich mit Rumi und Mechthild und deren erotischer Spiritualität auseinander. Mithilfe deren Lebensgeschichte und anhand vieler Anbetungen gelingt es ihm, den Eros in der Spiritualität neu zu beleuchten, und ihn nicht mehr als etwas Schmuddeliges oder Sündhaftes darzustellen, sondern ihn zu dem zu rehabilitieren, was er im ursprünglichen Sinne ist: ein leidenschaftlicher Mittler zwischen Seele und Gott.
YOGA AKTUELL: Als ich den Titel Ihres Buches „Die Erotik des Betens“ gelesen habe, habe ich im ersten Moment etwas gestutzt, weil es sich dabei ja doch um einen großen Widerspruch handelt. Möchten Sie mit diesem Titel provozieren?
Christoph Quarch: Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, ist bei Lichte besehen keiner. Denn dieser vermeintliche Widerspruch kommt dadurch zustande, dass wir mit dem Begriff Erotik viele irreführende Assoziationen haben. Mit dem Begriff „Beten“ übrigens auch, aber mit der Erotik ist es schwieriger, denken doch viele, wenn sie dieses Wort hören, an Rotlichtmilieu und andere schmuddelige Dinge, mit denen man nicht unbedingt etwas zu tun haben möchte. In Verbindung mit Beten wirkt ein solcher Begriff dann natürlich bizarr. Um zu erklären, was mich dazu verleitet hat, diese beiden Stichworte dennoch zusammenzubringen, muss ich erklären, was ich unter Erotik verstehe. Erotik ist für mich gerade nicht etwas, das man auf das Sexuelle reduzieren könnte oder sollte, so wie es heute zumeist geschieht. Wenn ich von Erotik rede, beziehe ich mich auf die Bedeutung dieses Wortes bei den alten Griechen. Dort stand es für eine fundamentale Wirklichkeit des menschlichen Lebens, die sehr viel zu tun hat mit Leidenschaft, mit […]