Es ist nichts Neues, dass Menschen versuchen, ihrer spirituellen Entwicklung in der Ferne auf die Sprünge zu helfen. Auch meine Reise nach Nepal hatte etwas mit dieser stillen Sehnsucht zu tun. Da liegt man im Kämmerlein auf der Matte und plötzlich schaut man unbequemen Fragen in die Augen: Wo zur Hölle soll ich in mir drin das Göttliche bitte fühlen?
Als keine Antworten nahen und das Fernweh in den Füßen kribbelt, packe ich meinen Rucksack, verlasse die heimische Komfortzone und rufe: Hallo Welt, hallo Nepal! Reisen beginnt im Kopf. Ich will fremde Luft schnuppern und mir selbst ein bisschen näher kommen.
Nepal also. Vielleicht mag das spirituelle Image des großen Nachbars Indien offensichtlicher sein. In Nepal ist das Angebot an Yogazentren, Vipassanas und Ashrams noch überschaubar, denn Trekking dominiert den Tourismus. Doch das kleine Land, in dem Buddha geboren wurde, kann mitreden. Zumindest was die Symbolik betrifft, pulsiert sie und hat eine Form – die sogenannte Spiritualität. Überall liegt der süße Geruch von Räucherstäbchen in der Luft. Klangschalen vibrieren und Gebetsmühlen rattern. Reste von Opfergaben liegen zwischen Müll und Plastik. Nahezu jede Stirn trägt einen bunten Punkt. Buddhistische Gebetsfahnen flattern im Wind. Und man grüßt sich auch noch mit Namaste – wenn da das Yogi-Herz keine Luftsprünge macht.
Bunt statt schwarz-weiß
Als Touristen neigen wir manchmal dazu, Gesehenes zu verherrlichen. Manchmal bringen wir es sogar zu Stande, in den traurigsten Slums ein gottverbundenes Leben zu erkennen. Natürlich wiegt die Einsicht viel, dass es wenig braucht zum eigenen Glück. Doch ob die Menschen sich selbst als geistig reich empfinden, darüber sagt die äußere Symbolik nichts aus. Welche Werte spielen im alltäglichen Leben der Menschen eine Rolle? Die Verwirrung schrumpft nicht, sie wächst. Sie gipfelt in der Ablehnung, eine kleine Buddha-Figur zu kaufen – die mir eigentlich gefällt.
Es würde zwar vieles einfacher machen, aber schwarz-weiß ist die Welt nicht. Ich ziehe weiter in Nepal, weg von dem Müll und dem Lärm Kathmandus. Hinein in die Ruhe an den Hängen des Himalayas. Zufällig, dank Googles Algorithmen, lande ich im Shanti Yoga Ashram des Gurus Yogi Prakash.
„Was ist das noch mal, wo du jetzt zum Yoga-Machen hingehst?“, fragt mich meine Schwester via Skype. Ein kleiner Ashram, erkläre ich ihr stolz. „Ist das ein Kloster?“ Gute Frage. Mir fällt auf, dass ich im Grunde gar nicht weiß, was ein Ashram ist. Manchmal ist man schon ziemlich blauäugig unterwegs.
Gelebte Praxis
Mit dem Taxi eine Stunde von der Hauptstadt entfernt, liegt der Ashram im Dorf Machchhegaun. Es stellt sich raus, dass die Einrichtung nicht nur ein Ort zum Yoga-Praktizieren ist, sondern ein großes Wohltätigkeitsprojekt namens „Lotus Project“. Der Guru und seine Frau Rama haben 2011 auf ihrem Grundstück die „Divine Yoga School“ gebaut, in der mittellose Kinder eingeladen sind, kostenlos den Unterricht zu besuchen – Yoga meets education. Die großen Kinder üben Yoga, die kleinen pauken Englischvokabeln. Alle mit dem Ziel, als starke Persönlichkeiten der Welt etwas zurückzugeben.
Spiritualität ist nicht nur ein Wort. Ja, man weiß es, Yoga soll gelebt werden. Aber an der Umsetzung hapert es gelegentlich. Während wir uns gerne die Zunge wund diskutieren und uns bei der Yogapraxis auf der Seite der „am echten Leben Interessierten“ meinen, geht es im Shanti Yoga Ashram um alltägliche Sorgen. Das war schon vor dem Erdbeben so, doch jetzt hat diese Aussage eine neue Bedeutung bekommen.
Das Erdbeben in Nepal und seine Folgen
Am 25. April wurde das Land von diesen grausamen Erdbeben verwüstet. Nepal und seine Menschen leiden Schmerzen. Die Presse zählt die Toten und zeigt uns fürchterliche Bilder von Kindern in Trümmern. Jetzt, wo das mediale Echo leiser wird, erinnere ich mich oft an die steinerne Shiva aus dem Gemüsegarten des Ashrams. Sie strahlt auf sonderbare Weise Ruhe und Frieden aus. Während die Welt sich weiter dreht und die Erde in Nepal nicht aufhören will zu zittern, sitzt sie ganz bestimmt noch immer da.
Ich hatte erwähnt, dass ich Erwartungen nach Nepal mitbrachte, oder? Für die Erleuchtung hat es nicht gereicht. Doch es ist etwas anderes Bemerkenswertes passiert. Ich wurde von seinem Dämon befreit. Ich war übrigens die einzige Besucherin in Machchhegaun, keine anderen Schüler, Gäste, Pilger – ja was eigentlich? Auch der Guru war nicht da, er war und ist auf Reisen in Amerika, um seine Lehre des Tantra-Yoga zu verbreiten. Ich war auf mich alleine gestellt. Und doch fühlte ich mich mittendrin. Ich war ein Teil der Familie.
Der Ashram ist nun ein Flüchtlingsheim. Mehr als 100 Waisenkinder, die im Erdbeben alles verloren haben, hat die Familie aufgenommen. Yoga-Fans werden wohl erst mal keine kommen. Auf Facebook lese ich täglich Spendenaufrufe und Bilder von Reissäcken, die Rama an die Dorfbewohner verteilt. Es fehlt an Ressourcen: Schulbücher, Hefte, Kleidung, Arzneimittel usw.
Spiritualität mitten im Leben
Abreisetag. Während des morgendlichen Spaziergangs durch die Hügel von Machchegaun, halten Rama und ich plötzlich an einem Haus: „Now you skype with my husband.“ Wie, jetzt? Yoga sei wie Autofahren, erklärt er mir. Viele einzelne Schritte, aber nach genügend Übung geschieht alles von alleine. Wann immer du 90 Minuten hast, versuche alles zu integrieren, sagt er mir: Mantras, Meditation, Pranayama, Asanas. Bringe alle Teile zum Laufen – sonst fährt das Auto nicht.
Das „Lotus Project“ bringt das Auto von Guru Prakash und Rama zum Laufen. Eine weltweite Yoga-Community beteiligt sich an Spenden. Was auch immer Spiritualität ist, für mich hat sie nun ihren lebensweltlichen Bezug wieder gefunden.
Bilder aus Nepal
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Hier geht’s zur Homepage des Shanti Yoga Ashram
Elena Brower hat eine Fundraising-Kampagne für die Schule gestartet
Unsere Gast-Bloggerin: Sinah Müller
Sinah Müller ist Soziologin, arbeitet als freie Texterin und steckt mitten in einer Yogalehrer-Ausbildung. Und sie findet, das geht ganz wunderbar zusammen. Reisen ist für sie Glück – auch alleine. Dabei stellt sie immer wieder fest, wie schön die Zeit nur für sich ist.
http://sinahmueller.tumblr.com