Auch wenn es vielerorts in dieser Zeit des Jahres noch kalt ist, so zeigen sich doch schon deutliche Zeichen des kommenden Frühjahrs. Jahr für Jahr erfüllt sich ein Versprechen: Zur Wintersonnenwende am 21.12. wurde im Glauben unserer vorchristlichen Ahninnen und Ahnen das Licht der Welt wieder geboren. Auch die christlichen Bräuche knüpfen hier an. Im Februar können wir bereits deutlich spüren, dass dieses Licht schon an Kraft gewinnen konnte und die Tage wieder länger geworden sind.
Neubeginn
Ein Neubeginn, Aufbruchstimmung liegen in der Luft und im oftmals noch gefrorenen Boden. Im Glauben unserer Ahninnen und Ahnen geht nun die weiße Göttin Brigid über das Land und weckt sanft die Bäume wieder auf, sodass deren Säfte zu fließen beginnen. Wo sie mit ihren Füßen die Erde berührt, sprießen nun ihre Blumen, die Schneeglöckchen.
Reinigungsrituale und Feste, um die Dunkelheit zu verabschieden
Verständlich, dass in dieser Zeit des Jahres bis heute überschwängliche Feste gefeiert werden, die die Dunkelheit und Dämonen des Winters, die Zeit des Darbens, verabschieden und das neue Leben willkommen heißen. Doch auch Feste der Reinigung wurden nun gefeiert und unser Wort für diesen Monat leitet sich von römischen Reinigungsritualen her (februare = „reinigen“). Der Name des alten keltischen Imbolc– Festes, welches Anfang Februar ebenfalls gefeiert wurde, kann mit „Rundum-Waschung“ übersetzt werden.1
Im Einklang mit der Natur und den Elementen
Die Winterlager waren nun leer und natürlicherweise begann eine Zeit des Fastens. Haus und Hof wurden nun gelüftet und mit dem rituellen Besen aus Birkenreisig gekehrt. Die Birke ist der Baum der weißen Göttin Brigit und ihrer indischen Entsprechung Sarasvati. Von all diesen Prozessen sind wir nicht losgelöst. Auch in unserem physischen Körper beginnen nun bald die Säfte wieder zu fließen. Das Kapha-Dosha sammelt sich nun vermehrt an und beginnt mit der zunehmenden Kraft der Sonne ab März „aufzutauen“. Dies macht sich dann in vermehrter Schleimbildung bemerkbar. Die vielen Erkältungskrankheiten dieser Zeit sind ein Ausdruck dessen, dass unser Körper die angesammelten Schlacken des Winters und diesen überschüssigen Schleim nun loswerden möchte.
Doch wir brauchen es gar nicht so weit kommen lassen, krank zu werden, sondern wir können unseren Körper auf ganz sanfte, natürliche Weise bei der Ausleitung unterstützen.
Die Natur schenkt uns nun erste unterstützende Kräuter, die unsere Nahrung ergänzen und uns mit Bitter- und Scharfstoffen versorgen, wie z.B. den antimikrobiell wirksamen Senfölglykosiden im behaarten Schaumkraut, das wir jetzt finden, und im bald sprießenden Bärlauch. Die Scharfstoffe aktivieren auch sanft unser Verdauungsfeuer Agni, welches durch das kumulierte Kapha-Dosha geschwächt ist. Bis zu seiner Blüte versorgt uns nun das Scharbockskraut mit vielen Vitaminen (Scharbock ist der Name eines Krankheitsdämons und altes Wort für Skorbut, eine Vitamin-C-Mangel-Krankheit, die unsere Vorfahren oft im Winter heimsuchte). Auch erste Löwenzahnblättchen beginnen nun zu sprießen und schenken uns zusammen mit anderen Kräutern die Bitterstoffe, die es braucht, uns Leichtigkeit und Vitalität zu schenken und Kapha auszugleichen.
Unsere Yoga-Praxis, die im Winter vielleicht die innere Einkehr und Hinwendung zur Essenz unterstützt und vertieft hat, darf nun wieder etwas anregender und dynamischer werden.
Die Reinigungsverfahren des Yogas
Und wunderbarerweise schenkt uns der Yoga genau die Reinigungsverfahren, die uns nun unterstützen können, um unbeschwert und vital ins Frühjahr zu starten. Leider führt deren Praxis oft in den Yogaschulen ein Schattendasein, obwohl bereits die Hatha Yoga Pradipika deren Durchführung – vor allem bei einem Übermaß an Schleim – unbedingt empfiehlt, bevor mit weiteren Yogapraktiken (insbesondere einer Pranayama-Praxis) begonnen wird. Denn wenn wir übermäßig viele Giftstoffe im Körpersystem angesammelt haben, sind unsere Nadis nicht frei, und die Pranayama-Praxis, die die Urkraft durch unsere Energiebahnen lenkt, kann uns dann sogar richtig krank machen. Diese Giftstoffe werden im Ayurveda Ama genannt, was „unverdaut“ bedeutet. Die Ansammlung von Ama ist nicht nur ein Ergebnis unserer winterlichen Ernährungssünden und von Umweltgiften, sondern auch eines geschwächten Verdauungsfeuers aufgrund des angesammelten Kaphas.
Reinigungsverfahren aus dem Ayurveda
Bekannter als die yogischen Reinigungsverfahren sind oft diejenigen aus dem Ayurveda: Pancha Karma. Dies bedeutet „fünf Handlungen“ und bezieht sich auf fünf verschiedene Verfahren der Reinigung, deren Durchführung eine gründliche Diagnostik durch eine/n ayurvedisch gebildete/n Heilpraktiker/in oder Arzt / Ärztin sowie eine umfangreiche Vorbereitung erfordert. Zudem ist die Ausrichtung im Ayurveda eine andere; die körperliche, geistige und emotionale Gesundheit ist auf unserem Yogaweg eher ein „Nebeneffekt“.
Shatkarma-Reinigungstechniken aus dem Hatha Yoga
Leichter und auch kostengünstiger als die ayurvedischen Praktiken sind die Shatkarmas, die Reinigungstechniken aus dem Hatha Yoga, umzusetzen. In klassischen Yogaschriften wie der Hatha Yoga Pradipika des Weisen Yogi Swatmarama und der Gheranda Samhita steht die Reinigung des Körpers von Verunreinigungen am Anfang einer jeden Yogapraxis. Wie könnte unser Geist zur Ruhe kommen oder unsere Nadis balanciert werden, wenn Giftstoffe in unserem physischen Körper (anamaya kosha) alle anderen Ebenen unseres Seins blockieren?
Was bedeutet Shatkarama?
Beide Texte beschreiben detailliert sechs Wege der Reinigung (Shat = sechs, Karmas = Handlungen), die der Ausleitung von Giftstoffen aus dem Körper dienen, die Doshas balancieren und den Energiefluss in Ida und Pingala Nadi sowie in unserem gesamten Energiesystem harmonisieren. Diese untergliedern sich, wie folgt:
- Dhauti: Die Reinigung des Verdauungstraktes
- Basti: Ausleitung über den Dickdarm
- Neti: Reinigung der Nase und des Kopfbereichs
- Trataka: Reinigung von Nervensystem und Augen
- Nauli oder Lauliki: Reinigung und Aktivierung des Energiesystems
- Kapalabhati: Ausleitung über die Lungen / Regulierung des Säuren-Basen-Haushaltes / Reinigung des Vorderhirns
Neti: die yogische Nasenreinigung
An dieser Stelle möchte ich Neti herausgreifen und ausführlicher beschreiben. Die Nasenreinigung ist vielleicht auch mit das bekannteste Reinigungsverfahren und die Variante mit Salzwasser wird von vielen Yogapraktizierenden bereits als tägliche Routine durchgeführt. Neti eignet sich (neben anderen Verfahren, wie z.B. Kunjal Kriya) ganz besonders gut, um überschüssiges Kapha auszuleiten.
Der Hauptsitz von Kapha ist im Magen und Brustkorb und ein Ungleichgewicht zeigt sich jetzt besonders im beschriebenen Übermaß an Schleim in diesem Bereich sowie im gesamten Kopfbereich. Es äußert sich in der oft als „Frühjahrsmüdigkeit“ beschriebenen Lethargie und Mattigkeit.
Nett gegen die Frühjahrsmüdigkeit
Genau hier setzt Jala Neti (die Nasenreinigung mit Wasser) an: Traditionell wird Neti mit einem speziellen Kännchen, dem Neti Lota, durchgeführt. Alternativ und für Fortgeschrittene gibt es noch eine Variante mit Stoff (der Weise Gheranda beschreibt lediglich diese). Auch die Spülung der Nase mit Ghee oder Buttermilch ist bekannt. An dieser Stelle möchte ich mich – aufgrund der einfachen Durchführbarkeit bei sofort deutlich spürbarem Effekt – auf die Reinigung mit physiologischer Kochsalzlösung fokussieren. Diese kann auch mit inzwischen in jedem Drogeriemarkt erhältlichen „Nasenduschen“ durchgeführt werden.
Anwendung der yogischen Nasenspülung
Während der Nasenspülung läuft das Salzwasser in das eine Nasenloch hinein und – durch eine spezielle Haltung des Kopfes (nach vorne und zur Seite geneigt) – zum anderen Nasenloch hinaus. Während das Wasser so fließt, kann bequem durch den Mund geatmet werden. Im Anschluss sollte die Nase durch intensive Ausatmung durch jedes einzelne Nasenloch und dann durch beide von verbliebenem Wasser befreit werden. In den klassischen Yoga-Schriften heißt es, dass Neti alle Krankheiten des Kopfbereiches heile, aber auch das Augenlicht verbessere, die Intuition stärke und das Ergrauen der Haare verhindere (dies ist, wie auch Augenprobleme, eine Pitta-Symptomatik). Durch Stimulation der Nervenenden in der Nase kommt es zur Aktivierung von Hirnnerven, u.a. des Nervus Opticus.
Meist findet Neti im Westen Anwendung in der Behandlung von Erkältungskrankheiten, Heuschnupfen, Entzündungen der Nasennebenhöhlen oder der Bronchien sowie zur Reinigung nach einem Aufenthalt in staubiger Luft. Es hat sich auch bei Kopfschmerzen bis hin zu Migräne bewährt. Ich empfehle Neti (auch bei Gesundheit und nicht nur im Spätwinter und Frühjahr) in eine tägliche Reinigungsroutine wie das morgendliche Zähneputzen mit aufzunehmen. Es lässt nicht nur den Atem freier fließen, sondern hinterlässt ein wunderbar klares Gefühl im gesamten Kopfbereich. Der Kopf (und mitunter das ganze Leben) fühlt sich leichter, freier und wacher an. Die Funktion der Nasenschleimhäute normalisiert sich, der pH-Wert reguliert sich (so dass Krankheitskeime sich gar nicht mehr wohlfühlen) und der Atem kann (wieder) frei fließen. Aus zahlreichen Studien wissen wir inzwischen, wie wichtig die Nasenatmung im Gegensatz zur Mundatmung für unsere Gesundheit ist.
Laut der Hatha Yoga Pradipika verleiht Neti uns sogar Hellsichtigkeit.
Es darf leicht sein!
Es braucht keine komplizierte Technik, um mit frischer Energie und neu gewonnener Vitalität und Gesundheit ins Frühjahr zu starten. Wecken wir wie Brigit alias Saraswati die schlafenden Kräfte und Säfte in uns auf, kehren wir den Winterstaub aus unserem Körper und lassen wir uns von den erstarkenden Sonnenstrahlen aus dem Winterschlaf wecken, um von Ballast befreit neue Visionen ins Dasein zu tragen!
1 Zur selben Zeit gibt es bis heute Lichtmess, dessen Inhalt ich aber nicht teile: Im jüdischen Glauben galt eine Frau nach der Geburt eines Kindes als unrein. Nach 40 Tagen durfte sie nach der Durchführung von Reinigungspraktiken wieder in die Synagoge. Lichtmess geht darauf zurück, dass Maria nun, nach der Geburt des Jesuskindes, wieder als rein“ galt. (Die Geburt wurde ja auf die Geburt des Lichtes zur Wintersonnenwende datiert.)
Literaturquellen:
Nestor, James: Breath. Atem. Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens. Piper. München 2021
Skuban, Ralph: Die Buteyko Methode. Wie wir unsere Atmung verbessern für mehr Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Alltag, Beruf, Yoga und Sport. crotona. 2020
Swami Muktibodhananda Saraswati: Hatha Yoga Pradipika, Munger, Bihar. 2000
Swami Niranjanananda Saraswati: Gheranda Samhita. Commentary on the Yoga teachings of Maharshi Gheranda. Munger, Bihar. 2012
Wichterich, Andrea: Wald-Yoga im Jahreskreis. Roßdorf 2021