Die Upanishaden gehören zu den ältesten und heiligsten Schriften des Yoga. Wenn du sie hörst, so höre mit dem Herzen, denn nur dieses versteht ihren umfassenden Inhalt.
Kennst du das? Du liest einen Text aus den alten Schriften des Yoga und bist zutiefst berührt. Du weinst, bist glücklich und weißt plötzlich, dass das Leben, so wie es ist, vollkommen ist.
So ergeht es mir immer wieder, wenn ich Texte aus den Veden oder den Upanishaden lese – oder neuerdings auch sehr gerne höre, wie zum Beispiel auf der CD Yoga der Upanishaden von Anna Trökes und Alexander Radszun.
Die Veden und Upanishaden zählen zur Textgruppe der Shruti, der vedischen Offenbarungstexte. Sie sind für unseren Verstand oft überhaupt nicht fassbar. Aber unser Herz weiß genau, worum es darin geht. Im Gegensatz dazu stehen die Texte aus der Gruppe der so genannten Smrti, der religiösen Lehren. Hierzu zählt zum Beispiel die Bhagavad-Gita.
Die Veden entstanden in einer Zeit die als Brahmanismus bezeichnet wird. Zu jener Zeit hatte die Priesterschaft der Brahmanen besonders große Macht. Veda (heiliges Wissen) ist eine Sammelbezeichnung für die heiligsten und ältesten Offenbarungen des Hinduismus, die in Sanskrit niedergeschrieben wurden. Bei den vier Veden (Samhitas, Sammlungen von Texten) handelt es sich um Rg-Veda, Sama-Veda, Yajur-Veda und Atharva-Veda.
Den Veden angegliedert sind unter anderem die Upanishaden. Für die Hinduisten waren und sind die Veden und Upanishaden auch heute noch Weisheiten, die durch höhere Eingebung von den Rshis geschaut wurden. Es heißt, dass es einst 1180 Upanishaden gab, 200 wurden bekannt, heute sind allerdings nur noch 108 davon überliefert. Lange Zeit wurden diese Texte nur mündlich vom Lehrer zum Schüler überliefert. Und hier achtete der Guru immer sehr genau darauf, ob der Schüler bereits in der Lage war, den umfassenden Inhalt dieser Texte zu erfassen. Was mich persönlich allerdings eher betroffen gemacht hat, war die Tatsache, dass einem Menschen, der unbeabsichtigt Zeuge der Übertragung wurde, Blei in die Ohren gegossen wurde, damit er kein zweites Mal Worte hören würde, die nicht für seine Ohren bestimmt waren. Wenn ich so etwas höre frage ich mich immer, wie ein so tiefgreifender spiritueller Inhalt mit einer solchen Handlung einhergehen kann.
Während in den Veden sehr viele Rituale beschrieben werden, Yoga aber noch nicht genau behandelt wird, bilden die Upanishaden die ältesten Texte des Yoga. Der Guru Sri Chinmoy sagte, für ihn bilden sie die „Krone der indischen Seele“ und stellen den spirituellen und philosophischen Höhepunkt Indiens dar.
Die Geschichte von Shvetaketu aus den Upanishaden
Eine der schönsten Geschichten aus den Upanishaden ist für mich persönlich die Geschichte von Shvetaketu. Diese Geschichte habe ich immer in den Yogalehrerausbildungen vorgelesen oder manchmal habe ich sie auch vorlesen lassen. Ich erinnere mich immer wieder sehr gerne an eine Situation, als eine angehende Yogalehrerin, eine sehr rationale Frau, diese Geschichte vorlas. Als sie die Geschichte zur Hälfte vorgelesen hatte, begann sie zu weinen. Schluchzend las sie weiter, hielt irgendwann inne und meinte: „Ich weiß nicht, was da gerade passiert, aber während ich die Geschichte lesen, wird mein Herz zutiefst berührt.“
Genau das passiert, wenn wir uns für die Upanishaden öffnen. Und vielleicht lässt auch dich ein Auszug aus der Geschichte von Shvetaketu nicht ganz unberührt:
Einst lebte ein junger Mann, der den Namen Shvetaketu trug, bei seinem Vater, Uddalaka Aruna. Als der Jüngling sein zwölftes Lebensjahr erreicht hatte, schien es seinem Vater an der Zeit, seinen Sohn zu einem Lehrmeister zu schicken. Shvetaketu ging und kehrte im Alter von vierundzwanzig Jahren wieder nach Hause zurück. Er hatte zwar viel gelernt, war aber hochnäsig und bildete sich viel auf sein Wissen ein. Er hatte das Gefühl, nun alles begriffen zu haben und glaubte, nichts mehr lernen zu können. Dem Vater missfiel das Verhalten seines Sohnes. Er nahm ihn zur Seite und fragte: „Mein Sohn, hast du jemals nach den Lehren gefragt, durch die man hört – hört und versteht –, was man nicht hören kann, hast du nach dem gefragt, durch das man sieht, was man nicht sehen kann und weiß, was nicht gewusst werden kann?“ Shvetaketu war neugierig geworden und fragte: „Nein, davon habe ich nicht gehört. Was sind das für Lehren?“ „Nun gut, ich werde dir davon berichten. Indem du weißt, was ein Klumpen Lehm ist, weißt du das Wesentliche über sämtliche Dinge, die aus Lehm gemacht werden. Sie unterscheiden sich alle lediglich nur durch ihre äußere Form und ihren Namen voneinander. Wenn du einen Klumpen Gold kennst, dann weißt du das Wesentliche über alle Dinge, die aus diesem Metall gemacht wurden. Auch hier unterscheiden sie sich lediglich in ihrer Form und durch ihren Namen. Das Gleiche gilt für Eisen und alle die anderen Metalle, die du kennst. Kennst du die Beschaffenheit und das Wesentliche, aus denen die Dinge gemacht sind, dann weißt du, dass sie sich lediglich in Form und Namen unterscheiden. Genauso bekommst du durch solches Wissen das Wesentliche und die Grundlage von allem zu Wissenden.“ „Mein lieber Vater, ich glaube, dass meine Lehrer dieses Wissen nicht hatten, denn sonst hätten sie es mich bestimmt gelehrt. So bitte ich dich, mich darin zu unterrichten.“ „Das tue ich gerne, mein Sohn. Darum höre gut zu: Am Anfang war reines Sein, eines ohne ein anderes. Einige Menschen glauben zwar, dass am Anfang nur das Nichtseiende war, das Nichtseiende ohne ein Zweites, und dass dieses das Seiende gebar. Aber sage mir, wie hätte es so sein sollen? Wie hätte sich aus dem Nichtseienden ein Seiendes entwickeln können? Nein, nein, mein Sohn, am Anfang aller Dinge existierte das reine Sein. Das reine Sein aber dachte bei sich selbst: Ich möchte so gerne „Viele“ werden. Ich möchte gerne die verschiedensten Gestalten und Formen annehmen. Und so schuf das eine Sein das Licht. Das Licht aber dachte bei sich selbst: Ich möchte so gerne Viele werden. Und das Licht brachte das Wasser hervor. Und das Wasser dachte bei sich selbst: Ach, ich möchte so gerne Viele werden und Form und Gestalt bekommen. Und so erschuf das Wasser die Erde. Auf diese Weise erschuf sich das ganze Universum aus dem reinen Sein. Dieses Sein, das die feine Grundsubstanz von allem ist, die höchste Wirklichkeit, das Selbst von allem, was existiert, DAS BIST DU, Shvetaketu.“ „Erzähle mir mehr von diesem Wissen, gelehrter Vater“, bat Shvetaketu, und war erstaunt über die Weisheit seines Vaters. „Gut, mein Sohn, so soll es sein. Nimm dieses Salz, gieße es in ein Glas mit Wasser und komme morgen früh wieder zu mir.“ Der Sohn tat, wie sein Vater ihm befohlen hatte und ging am nächsten Morgen wieder zu seinem Vater. „Bring mir das Salz, das du gestern Abend in das Wasser getan hast.“ Shvetaketu schaute in das Glas und konnte das Salz nicht sehen, da es sich über Nacht vollständig aufgelöst hatte. Der Vater sprach zu ihm: „Nimm einen Schluck, ganz von oben, und sag mir, wie es schmeckt.“ „Es schmeckt salzig, Vater.“ „Schütte noch mehr fort und trinke einen Schluck aus der Mitte des Glases. Wie schmeckt dies?“ „Nicht weniger salzig, als der erste Schluck, Vater.“ „Und jetzt, schütte ein wenig fort und trinke einen Schluck vom Boden des Glases. Wie schmeckt dies?“ Auch hier tat der Sohn wieder, wie ihm geheißen war. „Es schmeckt genauso salzig wie der erste und der zweite Schluck.“ „Nun gut, mein Sohn. Nun wirf alles weg und komm zu mir.“ Shvetaketu ging zu seinem Vater und sagte: „Jeder Tropfen schmeckte salzig.“ „Das ist richtig, mein Sohn, du vermagst das reine Sein, wie es alles durchdringt, nicht zu sehen, aber in Wahrheit ist es wirklich da. Dieses Sein, das die feine Grundsubstanz von allem ist, die höchste Wirklichkeit, das Selbst von allem, was existiert, DAS BIST DU, Shvetaketu. (Die ganze Geschichte findest du in dem Buch Alles ist Yoga von Doris Iding.) |
Diese Geschichte lese ich immer wieder und höre sie mir auch immer wieder an – und lasse mich jedes Mal aufs Neue davon berühren.