Die Fülle oder die Leere? Yoga und Buddhismus – über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Lehren, die aus einer gemeinsamen spirituellen Quelle stammen.
Yoga und Buddhismus entstammen beide derselben spirituellen Kultur Indiens. Viele ihrer Grundbegriffe sind die gleichen; ebenso verhält es sich bei Prinzipien und Praktiken. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass viele von uns Westlern zwischen Yoga und Buddhismus keine großen Unterschiede sehen. Und in der Tat sind die Unterschiede, welche den beiden seit Jahrhunderten zugrunde liegen, wesentlich weniger offensichtlich als ihre Ähnlichkeiten. Studiert man den Buddhismus, stößt man auf derart viele Gemeinsamkeiten, dass man denken könnte, der Buddhismus hätte den Yoga beeinflusst. Und genau umgekehrt verhält es sich mit denen, die sich in den Yoga vertiefen.
Mit Yoga meine ich hier den klassischen Yoga aus Patanjalis Yoga-Sutras, also ein achtgliedriges (Ashtanga) System, welches traditionell in das größere vedische System eingebettet war. Patanjalis System beinhaltet ethische Disziplinen (Yamas und Niyamas), Körperhaltungen (Asanas), Atemübungen (Pranayama), Beherrschung der Sinne (Pratyahara), Konzentration (Dharana), Meditation (Dhyana), und Versenkung (Samadhi), die von fast allen vedischen Traditionen geteilt wurden (und ebenso von einigen buddhistischen).Von den ersten fünf wird gesagt, dass sie die äußeren oder vorbereitenden Praktiken des Yoga bilden; die letzten drei hingegen, die alle zusammen als “Sanyama” bezeichnet werden, sind die inneren, meditativen Praktiken. Der klassische Yoga ist jedoch nur ein Teil einer viel umfassenderen Tradition, die ihren Ursprung in den Veden nimmt, die als die wohl ältesten spirituellen Schriften bekannt sind. Einige buddhistische Schulen erkennen die Autorität dieser Texte oder ihre Prinzipien, wofür sie hervorgebracht wurden, nicht an, obwohl der Buddhismus sehr viel mit der vedischen Spiritualität gemein hat. Das ist ein wesentlicher und entscheidender Unterschied zwischen beiden Systemen und wird oft übersehen. Meistens natürlich von Menschen, die sich nicht ausreichend tief genug damit befasst haben.
Obgleich allgemein üblich, ist die Tendenz, die beiden Traditionen in Beziehung zueinander zu setzen, nicht allein auf den Westen beschränkt. Swami Vivekananda z.B., eine der ersten großen Persönlichkeiten, die den Yoga in den Westen brachte, studierte gründlich die buddhistischen Mahayana-Texte (Sutras) und konnte keine wirklichen Unstimmigkeiten zwischen ihnen und der vedischen Tradition finden. Vor nicht allzu langer Zeit ist es zwischen den beiden Traditionen wieder zu einem Dialog gekommen, nicht zuletzt durch den Einfluss tibetischer Flüchtlinge in […]