Ein Plädoyer für mehr Einfachheit: Wir trafen die österreichische Yoga- und Meditationslehrerin Damara Berger auf dem Yogafrühling Gastein und sprachen mit ihr über die Kraft der Stille, gesunden Ehrgeiz und eine fruchtbare Yogapraxis in der heutigen schnelllebigen Welt
Am südlichen Zipfel von Afrika, ihrer „zweiten Heimat“, kam Damara Berger vor zwei Jahrzehnten in Kontakt mit Yoga und Meditation. Fasziniert war sie vor allem von der besonderen Kraft der Stille, die sie nach ihrem ersten mehrtägigen Schweige- und Meditationsseminar in der Tradition des koreanischen Zen-Buddhismus erfahren durfte: von der Präsenz und Feinfühligkeit, der Intensität der Farben und Klänge. So war schnell der Wunsch geboren, das Wissen durch eine Yogalehrerausbildung zu vertiefen. Neben der Arbeit in ihrer TCM-Praxis in Kapstadt intensivierte die gebürtige Österreicherin im Laufe der Jahre ihre Yogapraxis und verschaffte sich tiefe Einblicke in zahlreichen Traditionen, von Sivananda Yoga über Ashtanga, von Iyengar zu Prana Flow, von Yin Yoga zu Hormon-Yoga, dabei stets fest verankert in der Zen-Meditation. Heute lebt und arbeitet die hauptberufliche Yoga- und Meditationslehrerin mit ihrer Familie in Linz und plädiert für mehr Einfachheit im modernen Yoga, die die Magie des jetzigen Momentes enthüllen kann.
INTERVIEW von Janine Schneider
YOGA AKTUELL: Auf deiner Website habe ich den Satz gelesen: „Ich übe Yoga jeden Tag, versuche aber, keine Gewohnheit daraus werden zu lassen.“ Wie gelingt dir das?
Damara Berger: Ich bemühe mich, das zu schaffen, indem ich nicht in den Modus verfalle, schnell etwas „durchzuüben“, auch wenn manchmal nur ganz wenig Zeit ist. Die Yogapraxis wird schnell zur Gewohnheit, wenn man ein Ziel hat, z.B. diese oder jene Position zu können. Das ist mittlerweile für mich kein Thema mehr. Dies erreiche ich, indem ich immer wieder zur Ruhe komme, hineinspüre und mich frage: Was ist heute wirklich los? Was brauche ich? Wie fühlt sich eine Position für mich JETZT an? Ich versuche, im Kopf und im Herzen offen zu sein für das, was der Augenblichk für mich bereithält.
In der Yogastunde von dir, die ich besucht habe, hast du uns am Anfang recht lange erst einmal in die Stille geführt. Die Stunde hatte den Fokus auf grundlegenden Haltungen und ruhigen Abläufen. Meinst du, eine gewisse Einfachheit und die Basics werden heute im modernen Yoga vernachlässigt?
Ja, das denke ich. Weil Yoga heute natürlich auch ein Hype ist. Es sieht ja auch superschön aus; mir gefällt das auch, wenn jemand die Positionen exzellent ausführen kann. Handstand, Kopfstand, was auch immer. Das ist auch gut, denn allein durch diese Positionen werden so viele Menschen zum Yoga gebracht, weil sie sich auch so bewegen können wollen. Aber auf der anderen Seite schreckt es auch viele ab. Denn es gibt eben auch Menschen, die körperlische Einschränkungen oder Verletzungen haben, und denen es nie möglich sein wird, in gewisse Positionen zu gehen. Aber ich finde, Yoga soll für den Menschen da sein, und nicht der Mensch für den Yoga. Der Yoga muss an die Person und ihre Gebrechen anpassbar sein. Und da finde ich Basics ganz wichtig.
Darüber hinaus halte ich Basics auch deshalb für so wichtig, weil wir in einer sehr schnelllebigen Welt leben, in einer Wegwerfgesellschaft. Heute hier, morgen da. Wir sind alle Teil eines Kollektivums. Da gibt es – zumindest in unseren Köpfen – immer was zu erreichen, da gibt es Ziele. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei. Aber sobald ich im Modus des Planens bin, heißt das, ich bin nie hier im Augenblick. Ich bin immer entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Und für mich geht es im Yoga darum, wirklich im Hier anzukommen. Was ist in meinem Körper jetzt? Wie geht es meinem Knie, meinem Kopf, meiner Schulter, den Gedanken jetzt? Und kann ich es, unabhängig davon, ob es mir gefällt oder nicht, annehmen, wie es mir jetzt geht? Auch mit dem Wissen, dass sich alles permanent verändert – die einzige Sicherheit, die wir haben. Das verinnerlicht sich für mich durch die Wiederholung. Irgendwann gehört es dann dazu, und man denkt selbst daran.
Gibt es deiner Meinung einen gesunden Ehrgeiz?
Klar gibt es den. Ich sage in meinen Yogastunden immer wieder: „Spür so in dich hinein, dass du merkst, wann es für dich genug ist“. Die Frage ist: Denke ich nur, dass es genug ist, weil ich einfach keine Lust hab? Unser Ego und unsere Gedanken funktionieren ja so, dass sie uns sofort einen Grund dafür liefern, wenn uns etwas nicht gefällt: „Das könnte ungesund sein… Das tut weh…“ usw. Gesunder Ehrgeiz ist für mich, dort anzukommen, wo ich diese Unterscheidung treffen kann. Bin ich jetzt dazu bereit, alle meine Ideen, Konzepte und Konditionierungen loszulassen, um einfach nur zu spüren und anzunehmen, was jetzt ist, und dort auch hineinzugehen?
Diese Unterscheidung zu treffen, ob mir der Kopf Tricks spielt oder die gesunde Grenze erreicht ist, ist aber oft recht schwer. Wie entwickelt man das Gefühl dafür?
Durch das wiederholte In-sich-Hineinhören und durch Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, was nicht immer einfach ist.
Vielen Menschen, die sehr in der Bewegung sind und die dann ins Sitzen kommen, spielt der Kopf sofort einen Trick. Bei uns im Westen herrscht eher ein Überehrgeiz. Da wird zu viel gemacht. Man darf eigentlich nicht mehr bloß sitzen und kurz aus dem Fenster rausschauen und nichts tun, oder? Aber das ist es, was unser Kopf braucht. Das ist die Zeit, wo sich etwas Neues entwickeln kann. Wenn ich permanent voll bin und meinen Ideen nachrenne, dann ist da kein Platz mehr. Wenn ich ein volles Glas habe, kann ich nichts mehr nachgeben. Dann habe ich auch keine Offenheit mehr, zu bemerken, was gerade um mich herum passiert.
Wie würdest du den Yogastil bezeichnen, den du heute unterrichtest?
Ich kann dem per se keinen Namen geben. Es ist eine Fusion. Ich lasse vieles einfließen. Ich habe Erfahrungen in Meditation gemacht und meditiere regelmäßig. Ich habe lange Ashtanga Yoga praktiziert, auch Vinyasa Flow und Yin Yoga. Viele verschiedene Dinge. Mir ist eine grundlegende Offenheit für Neues sehr wichtig.
Viele Lehrer sagen, es sei wichtig, in einer Richtung tief zu gehen, also nicht mehrere kleine Löcher zu buddeln, sondern eines bis ganz herunter in die Tiefe. Geht das mit deiner Fusion verschiedener Stile einher oder schließt sich das aus?
Für mich geht das einher. Ich habe lange im koreanischen Zen-Buddhismus meditiert. Ich habe lange Ashtanga praktiziert. Da hat sich viel gefestigt, zum Beispiel die Regelmäßigkeit. Das ist schon ganz wichtig. Da stimme ich mit diesen Lehrern überein, sonst kommt man nie zum Wasser. Aber ich denke, wenn die regelmäßige Praxis dazugehört wie das tägliche Zähneputzen, dann ist es für mich gut, auch mal woanders reinzuspüren.
Ich halte gar nichts davon, dreimal zum Chi-Gong zu gehen, zweimal zum Tai-Chi und fünfmal zum Yoga. Und wir leben ja auch in diesem spirituellen Supermarkt, wo ganz viel präsentiert wird und ganz viel an der Oberfläche bleibt.
Dadurch kommt meiner Meinung nach auch viel Eigenartiges in die Köpfe der Menschen. Und da wird dann mit solchen Begriffen wie Karma herumgeschmissen. Dieser Begriff ist für mich absolut überbewertet, weil ich das Gefühl habe, er bringt viele Menschen wieder vom Eigentlichen und von dem, was wirklich jetzt gerade los ist, weg. Es scheint einfacher zu sein, sich mit dem Begriff Karma in die Vergangenheit oder in eine andere geistige Dimension zu beamen, statt hinzusehen, was es JETZT braucht, um eine für alle Beteiligten gute Lösung zu finden. Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Ich habe einen Löffel in der Hand und lasse ihn los … Dann fällt er herunter. Punkt. So hat alles eine Wirkung. Aber ich bin der Meinung, je präsenter ich werde und je mehr ich wirklich zu mir selbst komme, je mehr ich den Augenblick wirklich erfasse, wenn ich von Augenblick zu Augenblick Bewusstsein habe, dann brauche ich mir um das große Karma gar nicht so viele Sorgen zu machen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich zu dem Vertrauen kommen konnte, dass alles, was passiert, seine Richtigkeit hat. Ob es mir nun passt oder nicht. Das auch das Unangenehme seine Richtigkeit hat, und das auch das sich verändern wird. Wenn mir etwas Unangenehmes passiert, dann liegt die Entscheidung bei mir, ob ich mich in Selbstmitleid verkriechen will oder dem Karma die Schuld gebe, oder ob ich es voll akzeptiere und weiter mit bestem Wissen und Gewissen handle. Mit welcher Intention ich etwas tue, ist wesentlich.
Möchtest du den YOGA-AKTUELL-Lesern noch eine Botschaft mit auf den Weg geben?
Ja, gerne. Sobald wir erkennen, dass niemand außer uns selber unsere innere Unruhe stillen oder unsere Wünsche erfüllen kann, dass keine Beziehung der Welt alles füllen kann, aber das echte Liebe uns unterstützen und zur Reflexion anregen kann, um unsere innere Vollkommenheit zu erkennen – und dass diese innere Vollkommenheit einfach immer präsent ist, so wie das Licht immer da ist, auch wenn manchmal Wolken davor sind –, wenn wir das erkennen, sind wir uns selbst ein Stück näher. Wir müssen alle unsere eigene Fülle finden. Und wenn du wirklich selbstlos sein willst, liebe und schätze dich selbst, und tu etwas für dich selbst. Sei dankbar, und verzeihe.
Herzlichen Dank für das Interview!
Infos:
Damara Berger lebte 18 Jahre in Südafrika und studierte TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) in Kapstadt. 1998 startete sie mit den ersten Meditationserfahrungen im Stil des koreanischen Zen-Buddhismus. Weitere längere Meditationserfahrungen machte Damara im Vipassana-Stil. Yoga gehörte für sie schon während dieser Zeit zum Alltag. 2004 absolvierte sie eine zweijährige, umfassende Yogalehrerausbildung im Ananda Kutir Ashram. Seither gehören der Yogaunterricht, Fortbildungen im In- und Ausland und auch die Organisation verschiedener Yoga- und Meditationsveranstaltungen – zuerst in Kapstadt und seit 2006 auch in Österreich – zu ihrem Alltag.
www.yogazone.at/yogazone/home.html
Termine:
12.–21.10.2018: Yogaherbst Gastein im Hotel Das Goldberg, www.yoga-gastein.com
3.–4. 11.2018: Yoga Energy Works mit Ralph & Nella Skuban in Linz/Österreich
1.–6.1.2019 Meditation & Yoga im Aktivhotel Hochfilzer in Ellmau am Wilden Kaiser in Tirol.