Über die ganzheitliche Dimension der Körperkanäle: Die Srotas und ihre Schlüsselrolle für unser Wohlbefinden
Als ich vor 25 Jahren mit meinem Ayurveda-Studium begann, eröffneten sich mir als erstes neue Betrachtungsweisen des Lebens, des Menschen und seiner Beschwerden. Durch das Verständnis der Elemente, Säfte und Eigenschaften (mahabhutani, dosha und guna) lernte ich die individuelle Konstitution des Menschen auf körperlicher und mentaler Ebene besser zu verstehen und die vedische Philosophie als praktischen Lebensratgeber zu interpretieren und umzusetzen.
Je tiefer ich in mein Studium eindrang, umso präsenter wurden die strukturbetonten Krankheits- und Heilungsprozesse wie „dravyaguna“ und „kayachikitsa“ in meiner therapeutisch orientierten Auseinandersetzung mit Ayurveda – mit der Erkenntnis, dass die emotionalen und psychischen Bedürfnisse des hiesigen Patienten weit über die Vorstellungskraft eines traditionellen indischen Ayurveda-Arztes hinaus gehen. Als ganzheitlich arbeitende Ayurveda-Therapeuten und -Mediziner in Europa benötigen wir eine gute psychologische und spirituelle Schulung, um unseren Behandlungs- und Beratungsauftrag lösungsorientiert zu erfüllen. Diese Erfahrung teile ich mit vielen anderen erfolgreichen Ayurveda-Kolleginnen und -Kollegen, die unabhängig voneinander weitreichende psychologische und gesprächstherapeutische Kompetenzen erworben haben und diese täglich im Rahmen ihrer ambulanten und kurativen Ayurveda-Tätigkeit einsetzen.
Die Srotas als Beziehungsnetz
Auch die Körperkanäle (srotani) werden im Rahmen der rationalen, psychologischen und spirituellen Ayurveda-Therapien mit größter Wichtigkeit beachtet: Bereits im Ayurveda-Grundstudium wird das Wissen um die Funktionen und Strukturen der Srotas als Leitbahnen und Transportsystem im Organismus vermittelt. Viele Ernährungsempfehlungen und Therapiemethoden dienen der Vorbeugung oder Behandlung von Srota-Blockaden und -Pathologien. Doch was es bedeutet, dass aus ayurvedischer Sicht ein Organismus nicht nur als Organsystem betrachtet wird, sondern als Beziehungssystem, welches die Funktionen und die Rolle der einzelnen Organe sowie des gesamten Körpers festlegt, wird mir erst jetzt nach über zwanzigjähriger Ayurveda-Praxiserfahrung bewusst.
Die Srotas haben eine elementare Bedeutung für das energetische, kommunikative und therapeutische Beziehungsfeld zwischen Klient und Therapeut. Mit einer ayurvedischen Ölmassage (Abhyanga bedeutet sinngemäß übersetzt „eine besondere Bewegung um etwas“) werden nicht nur angesammelte Doshas durch die Srotas bewegt und transportiert, sondern es entsteht ein tiefer Austausch, in dem alle grob- und feinstofflichen Srotas verbunden und durchdrungen werden. Wir erfahren ein spürbares Beziehungsnetz in der Berührung von Körper, Geist und Seele, das den Behandelten und den Behandler gleichermaßen „in den Fluss bringt“ und neue Zugänge zu Emotionen, Intuition und Heilkräften öffnet. Aus dieser […]