Faszination Flimmerkiste – Risiken und Chancen des Medienkonsums und was man der Dauerberieselung entgegensetzen kann
Kann man vor dem Fernseher Erleuchtung erlangen? Gibt es die Befreiung am Computerbildschirm? Oder geschieht das Erwachen vielleicht beim Surfen im Internet?
Wohl kaum, wird man denken. Und doch sind Fernsehen, Radio und vor allem Computer und Internet ein beträchtlicher Bestandteil unseres Lebens. Wer verbringt heute nicht zumindest einen Teil seiner Zeit mit diesen Medien? Fast jeder nutzt das Internet, schaut ab und zu fern oder lässt sich von Radio oder CD-Player berieseln. Und unzählige Menschen verbringen fast ihre gesamte Arbeitszeit an Bildschirmen oder Monitoren.
Man mag sich da fragen, wie sich dieser Zustand auf unsere spirituelle Entwicklung auswirkt. Die Urbilder der spirituellen Entwicklung – der Yogi in seiner Höhle im Himalaya oder der christliche Eremit in der Stille und Einsamkeit der Wüste – sie scheinen geradezu das Gegenteil der flimmernden, blinkenden und trällernden Welt der Medien, der wir fast permanent ausgesetzt sind. Wie wirkt sich der ständige Umgang mit den Medien auf den Menschen aus? Können wir in dieser Situation trotzdem noch erfolgreich nach geistiger Vollkommenheit streben? Und wenn ja, wie?
Das Beispiel Fernsehen
Zunächst wollen wir einmal am Beispiel des Fernsehens genauer betrachten, wie die modernen Medien sich überhaupt auf uns auswirken. Untersucht man einen Menschen, der gerade fern sieht, so stellt man zunächst fest, dass die sonst beim Sehen vorhandene
Eigentätigkeit des Auges völlig ausschaltet ist (Beim Fernsehen finden praktisch keine Adaptionsbewegungen und kein „Abtasten“ des Bildes durch das blitzschnelle Fixieren sehr vieler Punkte statt.)
Häufige Bildschnitte (alle 2-5 Sekunden), Zooms und Kameraschwenks erzeugen trotzdem eine Illusion von aktiver Sehtätigkeit. Besonders interessant wird es aber, wenn man per EEG die Hirnströme eines Fernsehenden misst: Es überwiegen die langsamen Alphawellen, die normalerweise typisch für einen schlafähnlichen bzw. sehr entspannten Zustand sind und vor allem bei geschlossenen Augen auftreten. Überraschenderweise kann man genau dieselben Alphawellen auch bei Meditierenden messen, wo sie Anzeichen dafür sind, dass das Bewusstsein von der Außenwelt abgezogen wird, wobei sich der Meditierende entspannt, aber weiterhin wach ist. Auf den ersten Blick scheint es also, als seien Fernsehen und Meditieren in ihrer Wirkung auf den Menschen gleich. Heißt das, man darf getrost die alltägliche Morgenmeditation sausen lassen und sich stattdessen schon früh morgens im Lotussitz vor die laufende Glotze setzen?!
Besser nicht, denn auf den zweiten Blick erkennt man den gravierenden Unterschied zwischen Meditieren und Fernsehen: Während der Meditierende seine Alphawellen durch Eigentätigkeit, durch innere Sammlung erreicht, handelt es sich beim Fernsehen um einen durch äußere Bilder gesteuerten schlafähnlichen Zustand; man könnte auch sagen: um von außen vermittelte Tagträume. Gilt in der indischen Philosophie die materielle Welt der Sinne oft als „Maya“, als Täuschung, die es zu durchschauen gilt, so sind die Fernsehwelt und die virtuellen Welten der Computerspiele eine doppelte Maya, und noch tiefer materiell als die natürliche Sinneswelt. Stellt man Fernsehen und Meditation einmal einander gegenüber, so zeigt sich folgende Gegensätzlichkeit:
Man muss an dieser Stelle klar herausstellen, dass die beschriebenen Wirkungen völlig unabhängig vom tatsächlichen Inhalt des Programms sind und allein in der physiologischen Natur des Fernsehens begründet liegen. Die oft haarsträubende „Qualität“ der Fernsehprogramme selbst ist noch einmal ein ganz anderes Thema.
Deutlich wird, dass das Fernsehen in seiner Wirkung auf den Menschen das genaue Gegenteil von Meditation darstellt. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass bei häufigem, regelmäßigem Fernsehen die Fähigkeit, innerlich Bilder zu erzeugen, dramatisch verkümmert. Das heißt: Je mehr man fernsieht, desto mehr verliert man die Fähigkeit zur Meditation.
Was tun?
Ebenso gilt aber auch der Umkehrschluss: So gesehen wäre Meditation eine Methode, um der durch das Fernsehen verursachten Einseitigkeit und Schädigung entgegenzuwirken. Indem man in der Meditation innerlich aktiv Bilder oder Gedanken erzeugt oder einfach bewusster Zeuge des Gedankenprozesses ist, stärkt und entwickelt man gerade die Seelenkräfte, die durch das Fernsehen geschädigt werden.
Und hier kann man ansetzen. Denn wir kommen in unserer heutigen Lebenswelt schwerlich um den Umgang mit Fernsehen oder Computern herum. Und für Computer gilt Ähnliches wie für das Fernsehen; ja selbst Telefon und Radio bergen eine gewisse Gefahr der Einseitigkeit, inneren Verarmung und übermäßigen Zerstreuung. Wie ist es uns in dieser Situation trotzdem möglich, körperlich, seelisch und geistig gesund zu bleiben oder, noch besser, uns spirituell weiter zu entwickeln?
Die Kraft der Überwindung
Immer wenn der Mensch es schafft, schwierige Situationen oder Lebensumstände zu meistern, entwickelt er dabei neue Stärke und Fähigkeiten. Diese Regel gilt sowohl für den Einzelnen als auch für die Menschheit als Ganzes. Das heißt: Die Menschheit steht heute vor der Herausforderung, im Umgang mit den Medien und der Auseinandersetzung mit den degenerierenden Kräften, die diese in sich tragen, neue Kräfte und Fähigkeiten auszubilden. (Dies gilt allerdings nicht für Kinder. Sie müssen erst einmal gesunde körperliche, seelische und geistige Organe aufbauen können und sollten deshalb möglichst lange von Computern und Fernsehen fern gehalten werden.) Darin liegt die Chance, eine Stärke zu entwickeln, die ohne diese Herausforderung nie entstehen könnte. Es besteht aber auch die Gefahr, in dieser Auseinandersetzung zu unterliegen, was sich dann unter anderem in Süchten, Apathie, Depression, Lebensangst oder krassem Materialismus äußert.
Ausgleich schaffen
Während die Menschen früherer Zeiten meist eine gesunde, natürliche Lebenswelt vorfanden, zu der eine intakte Natur, gesunde Bewegungsanreize, natürliche Nahrungsmittel und ein Schlaf-Wachrhythmus, der sich nach der Sonne richtete, gehörten, so müssen wir heute ganz bewusst und aus eigener Initiative den einseitigen und krank machenden Einflüssen unser Zivilisation etwas entgegensetzen.
Zunächst ist es wichtig, ganz grundlegende Regeln der körperlichen Gesundheit zu befolgen: Gesunde Ernährung (am besten vegetarisch) und ausreichend Schlaf und Bewegung sollten selbstverständlich sein. Ideal sind ausgedehnte Spaziergänge und Wanderungen in der Natur. Gerade in unserer von Asphalt, Maschinen und technischen Geräten geprägten Umgebung ist es wichtig, regelmäßig raus in die Natur zu gehen. Abgesehen von der frischen Luft und Bewegung sind es vor allem die Vielzahl und die Vielfältigkeit der natürlichen Sinneseindrücke, wie es sie im Wald, am Strand oder auf einer Wiese gibt, die heilsam wirken. Für Eltern mit kleinen Kindern sollte dies ein fester Bestandteil des Alltags sein. Ebenso sollte man sich selbst regelmäßig bewusst (!) entspannen und dem Körper und Geist Gelegenheit geben, die „Batterie wieder aufzuladen“. Dabei ist ein generell möglichst einfacher Lebensstil hilfreich. Die ganz simplen Vergnügungen befriedigen ohnehin meist mehr als zum Beispiel Kino oder Fernsehen. Also einfach öfter mal einen Abend mit Freunden oder Familie zusammen sitzen und gemeinsam essen, spielen, musizieren oder auch nur sich unterhalten. Freundschaften und Beziehungen zu pflegen braucht nun mal Zeit. Und keine Maschine kann den Spaß, das Lachen und die Liebe ersetzen, die wir in der Beziehung zu anderen Menschen (und auch Tieren) finden.
Ungemein stärkend auf allen Ebenen wirken natürlich spirituelle Disziplinen wie Hatha-Yoga, Meditation und Bhajan singen oder Mantra chanten. Auch jegliche Form der künstlerischen Betätigung wirkt harmonisierend auf das Gefühlsleben und ist gleichzeitig Willensschulung. Und gerade der Wille ist es, der durch den Umgang mit Medien eine Schwächung erfährt. Man kann das daran merken, dass man sich nach langem Fernsehen wie bleiern fühlt und sich während des Fernsehens oft nur schwer dazu überwinden kann, auszuschalten, selbst wenn das Programm einen eher gelangweilt hat. Also ruhig die verstaubten Musikinstrumente wieder hervor holen oder auch ein neues Instrument lernen. Vielleicht auch ein Bild malen, eine Landschaft zeichnen oder die Liebe zu seinem Partner in ein Gedicht kleiden. Und wer Kinder hat, sollte sich im Geschichten vorlesen oder, noch besser, im freien Erzählen üben. Man wird erstaunt sein, wie sehr Kinder nach Geschichten hungern und die, wenn auch etwas holprig, aber von einem lebendigen Menschen erzählte Geschichte der „perfekten“ Hörspielkonserve vorziehen.
Auch das Denken sollte gute „Nahrung“ erhalten. Dazu zählen gute Literatur, besonders aber spirituelle Bücher und Vorträge.
Es wurde schon angedeutet, dass die Medien oft besonders starke Sinneseindrücke bieten, und die Sinne somit besonders reizen. Die Bilder, die Fernsehen und Internet uns vorsetzen, gelangen viel tiefer in unsere Psyche und unser Unbewusstes, als wir wahrnehmen. Von dort aus wirken sie aber hinein in unsere Gefühle und bis in unser Verhalten. Übungen der Gedankenkontrolle (wie Meditation und Mantra-Japa), der Beherrschung der Sinne und Wünsche (zum Beispiel Fasten und Schweigen) sind deshalb ebenso unerlässlich wie gute Gewohnheiten und ein gesundes Maß an Selbstdisziplin in allen Bereichen. Der klassische Yoga bietet hier umfassende Leitlinien für alle die genannten Bereiche.
Dienen oder Verdienen?
Letztendlich kommt es bei allem, was man im Leben tut, stark auf die innere Motivation an. So können zwei verschiedene Menschen dieselbe Tätigkeit an einem Computerbildschirm ausüben. Die eine tut es aber nur des Geldes wegen, die andere tut es als Karma-Yoga, als Dienst am Göttlichen und ihren Mitmenschen. Gleichzeitig ist aber auch wichtig, was man mit seiner Arbeit tatsächlich in der Welt bewirkt. So arbeitet von den zwei erwähnten Menschen am Computerbildschirm die eine Person vielleicht für eine Umweltorganisation, und sorgt mit dafür, dass unsere Natur nicht aus Profitgier zu Grunde gerichtet wird. Die andere arbeitet vielleicht für eine Firma, die gerade im großen Stil Regenwälder abholzen lässt, ohne einen Gedanken an den nicht wieder gut zu machenden Schaden, den sie dabei anrichtet, zu verschwenden.
In diesem Sinne ist es oft notwendig, sich für eine gute Sache gewisser Mittel zu bedienen, die auch problematische Auswirkungen haben. Es ist zum Beispiel sicherlich nicht ausgewogen, den ganzen Tag vor einem Computerbildschirm zu sitzen, selbst wenn es für die Umwelt ist, und auch die Umweltorganisation verbraucht für ihre Arbeit Energie und verschmutzt damit indirekt die Natur. Dies geschieht aber, um etwas Gutes in der Welt zu bewirken, und tatsächlich wird objektiv auch etwas Gutes erreicht. Somit hat diese Arbeit eine ganz andere Qualität, als solche, die man nur des Geldes wegen tut. Und sie wird sich damit auch anders auf den Arbeitenden auswirken.
Wenn die ganze Lebensführung auf das Göttliche und damit auf die Wahrheit ausgerichtet ist, dann wird man auch vorankommen und Schwierigkeiten überwinden können. Negative Auswirkungen in Kauf zu nehmen, um damit einer guten Sache zu dienen, ist ein Opfer. Und nur durch Opfer, so sagen die Upanishaden, kann Unsterblichkeit erlangt werden.
Die Gegensätze überwinden
Wir leben in einer Welt der Dualität. Alles hat zwei Seiten: Ein Messer kann zum Gemüse schnippeln benutzt werden, aber auch, um jemanden zu ermorden.
Neben all ihren problematischen Seiten bedeuten die Medien ebenfalls einen ganz großen Segen für die Menschheit. Sie haben unser Leben ungemein erleichtert und bieten großartige neue Möglichkeiten. Es sollte aber klar geworden sein, dass sie Wirkungen auf den Menschen haben, die einer gesunden spirituellen Entwicklung entgegenstehen.
Die meisten Menschen werden um den Umgang mit Medien nicht herum kommen oder auch gar nicht darum herum kommen wollen. Auch für die Menschen, die viel Zeit an Bildschirmen oder an sonstigen technischen Geräten verbringen, ist spiritueller Fortschritt möglich. Dafür muss aber auch einiges getan werden, denn die Einseitigkeit und den negativen Einfluss einer solchen Arbeit gilt es aufzuwiegen. Letztendlich kann aber jemand, dem das gelingt, eine neue Stärke erlangen, die er oder sie sonst nie entwickelt hätte. Vor dieser Aufgabe und Chance steht derzeit auch die Menschheit als Ganzes.