Yogapraxis und Yogaliteratur in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Überblick von Mathias Tietke
Wird über die Geschichte des Yoga geschrieben oder gesprochen, so gibt es zumindest eine historische Etappe, die oftmals ausgeklammert oder mit falschen Behauptungen versehen wird: die Rede ist von der Zeit des Nationalsozialismus, einer zwölf Jahre andauernden Terrorherrschaft, die rund 60 Millionen Menschen das Leben kostete und als 1000-jähriges Reich angelegt war.
Für den blinden Fleck hinsichtlich Yoga im Nationalsozialismus oder auch Yoga und Nationalsozialismus gibt es drei Gründe. Erstens: Es gibt (von einem Abschnitt in der 1990 im Kohlhammer Verlag veröffentlichten Dissertation „Yoga in Deutschland“ von Dr. Christian Fuchs und von einigen Passagen in dem Buch „Yoga auf dem Weg nach Westen“ von Karl Baier abgesehen) kaum Material und bislang keine eigenständige Veröffentlichung zu diesem Thema. Zweitens: Die Verbindung bzw. der Zusammenhang von Yoga und NS wird bewusst verdrängt oder beschönigend dargestellt. Drittens: Geht es in Yogabüchern um historische Hintergründe, so werden diese oft sehr oberflächlich dargestellt und die AutorInnen verzichten in der Regel auf eigene Recherchen.
Das Thema Yoga und Nationalsozialismus in seiner ganzen Komplexität und mit allen Aspekten darzustellen, würde den Rahmen eines solchen Essays in einer Zeitschrift sprengen, weshalb nun in zwei Teilen einige wesentliche Aspekte dieser Thematik erörtert werden sollen. In beiden Teilen geht es sowohl um die belastenden als auch um die entlastenden Belege.
Eigentlich möchte man meinen, dass sich die Ethik des Yoga und die Ideologie des Nationalsozialismus ausschließen, da sie sich zueinander verhalten wie Licht und Finsternis und manche YogalehrerInnen behaupten dies auch. Doch – leider – ist dies reines Wunschdenken oder taktisches Schönfärben. Die vorliegenden Tatsachen belegen diverse Berührungspunkte und Kooperationen und dies auf verschiedenen Ebenen. Hierfür drei Beispiele.
1. Boris Sacharow (1899 – 1959) und die erste deutsche Yoga-Schule
Als der Exil-Russe Boris Sacharow 1926 seine Heimat verließ, war sein eigentliches Ziel New York, an dessen Columbia University er sich aus dem fernen Odessa immatrikuliert hatte. Doch er kam nur bis Berlin und studierte von November 1927 bis Januar 1929 an der Technischen Universität (TU) Elektrotechnik. Nach eigenen Angaben fehlten ihm die finanziellen Mittel für eine Fortsetzung des Studiums und so arbeitete er als Taxichauffeur sowie als Sprachlehrer für Russisch, Französisch und Englisch. Er lernte […]