Ein Gefühl wie gestrandet, auf einem Bahnhof irgendwo.
Der Lokführer hat beschlossen, Pause zu machen, vielleicht sogar zu streiken.
Das Nichtwissen, wie es weitergehen soll, legt sich aufs Gemüt wie eine graue Decke.
Stillstand. Stagnation. Mutlosigkeit. Sie sind nicht gesellschaftsfähig, solche Zustände.
Das krampfhafte Vermeiden von Traurigkeit führt die Menschen in Scharen zu psychologischen Beratern.
Der Auftrag: Instant-Seelenreparatur, die Funktionstüchtigkeit muss schnellstens wieder hergestellt werden.
Was früher als Melancholie galt und zumindest künstlerisch wertvoll war,
wird heute als Stimmungsschwankung diagnostiziert und gilt als zu behebendes Problem.
Der Blues ist nicht gestattet
Eine Parallele zur Wirtschaft tut sich auf:
Auch dort soll es stetig bergauf gehen, niemals bergab, nicht einmal Stagnation ist akzeptabel.
Mit dem menschlichen Befinden muss es ebenso nach oben gehen, immer besser, immer erfolgreicher, immer beliebter, immer …
Kein Wunder, dass Körpern die Luft ausgeht und sich Seelen längst verschlossen haben.
Sie wollen und können nicht ständig treu funktionieren und alles gutheißen.
Immer linear geht nicht. Stets steil nach oben ist eine Utopie.
Der verordnete Positivismus ist eine moderne Plage.
Man darf nicht mehr schlecht drauf sein. Sich nicht fürchten oder gar zweifeln.
Es gilt, tapfer zu sein. Tough und dynamisch. Doch auch die Prozesse der Natur verlaufen zyklisch.
Vergehen, sterben, erneuern, wieder wachsen. Schwach sein und wieder erstarken.
Wer immer alles hat, schätzt das Gute nicht mehr.
Wie sollte er auch – Luxus ist längst normal geworden und die Langeweile vorprogrammiert.
Die Menschen haben auch eine passive Seite, eine schattige.
Wer sich immerzu fordert, überfordert sich.
Presst sich selbst aus wie eine weitgereiste Orange, tief empört darüber, dass es nicht mehr „Ertrag“ zu holen gibt.
Doch das Leben ist keine Ernte, das Leben ist eine Reise.
Eine Abfolge von Erfahrungen, Lernaufgaben, Hürden, Freuden, Frustrationen und Kurskorrekturen.
Das Scheitern wird nicht eingeplant, nie.
Doch nur, wo man sich irren, sich getäuscht haben darf und folglich den Kurs korrigiert, entsteht Neues.
Neue Erfahrungen, neue Wege, neue Ideen. Kinder lernen zu gehen, indem sie oft genug hinfallen.
Das Scheitern gehört zum Versuchen. Oft liegen die schönsten Erfolge und Erfahrungen nicht im sturen Weitermachen, sondern im Aufgeben.
Darin, sich neu zu zentrieren und mit anderer Zielsetzung zu starten.
Wer immer motiviert nach vorne marschiert, hat wenig gesehen und noch weniger begriffen.
Die Umwege erst schenken den Menschen die wertvollsten Erfahrungen.
Wer sich zugesteht, zwischendurch aus ganzem Herzen verzweifelt zu sein, erlebt zwar drückende Mutlosigkeit,
kann jedoch aus diesem Tief – nach der Rückkehr des Wollens – mit gesunder Demut Neues wagen.
Zeit für den Schritt ins Unbekannte
Wenn sich ein inneres „Nein“ zu einer Anforderung so deutlich zeigt wie nie zuvor, ist es Zeit, loszulassen.
Altes sein zu lassen, zu gehen, aufzugeben. Auch Häme zu ertragen, gehässige Töne.
Teflon übers eigene System zu legen. Geschlagene Wunden nicht preiszugeben.
Die Entscheidung hat längst im Raum gestanden, über die Schulter geschautund immer lauter ins Seelenohr geflüstert: „Du bist hier nicht mehr richtig …“
Dann, wenn etwas zu Ende geht, wird es Zeit, Neues zu wagen.
Einen Schritt zu setzen, ohne die Richtung zu kennen, ja nicht einmal den Untergrund.
Vertrauen in das Eigene. Den Instinkt, die Intuition.
Den Leuchtturm zwar spüren, ihn erahnen, aber noch nichts von ihm sehen können.
Mut, Vertrauen, Geduld und Hingabe. Keine leichte Kombination für die heutige Welt mit ihren Schneller-besser-weiter-Forderungen.
Gehen, einfach gehen. In Bewegung kommen, die lähmende Stagnation beenden.
Ruhig bleiben, zentriert. Atmend vorwärts gehen. Tastend.
Erst vorsichtig, dann immer mutiger, neugieriger.
Sich auf Neues einzulassen heißt nicht, alles gut finden zu müssen.
Es bedeutet nur, etwas anderes zu probieren, um das Bisherige zu hinterfragen.
Je weiter der Blick, umso größer die Auswahl.
Was kommt zum Vorschein, wenn man eine Luke öffnet?
Braucht man eine Berechtigung von außen für sein schöpferisches Tun?
Wer könnte sie erteilen, diese Erlaubnis, wer den Startschuss liefern?
Es gilt, sich selbst zu begleiten. Den sanften Schubs zu liefern oder die strenge Konsequenz.
Die Regelmäßigkeit wird zum Ritual. Das Ritual zur Schöpfung.
Einfach fließen lassen, was da ist. Still, kraftvoll und beständig.
(…)
[highlight]Möchtest du den Text in voller Länge lesen? Du findest ihn auf den Seiten 110-112
in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins (YA Nr. 92)![/highlight]
Micky Kaltenstein ist freie Journalistin, Autorin, Sprecherin und Yogalehrerin.
Sie lebt in Salzburg, reist gerne durch die Welt, begeistert sich für gute Gespräche, Bücher, Gärten und gepflegten Müßiggang.
www.kaltenstein.at